Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
Vom Netzwerk:
kämen.»
    Wer wünschte sich also nicht Ordnung und geregelte Verhältnisse? Die Anhänger der Anarchie jedenfalls bilden fast überall auf der Welt eine verschwindend kleine Minderheit. Wenn man es aber mit der Ordnung übertreibt, kann es problematisch werden. In dem Wort «Ordnungsliebe» klingt schon ein gestörtes Verhältnis an. Gewiss, man darf die Ordnung und ihre Vorzüge schätzen, aber muss man sie deswegen gleich lieben und preisen? Es gibt einige Deutsche, die sich damit hervorgetan haben. Etwa der Pädagoge und Verleger Joachim Heinrich Campe, der Ende des 18. Jahrhunderts eine Erziehungsschrift mit dem Titel Väterlicher Rat für meine Tochter publizierte. « Ordnungsliebe! – Wo nehme ich Worte her, dir diese – Tugend? nein, das ist zu wenig gesagt, diese Mutter und Pflegerin aller andern Tugenden, diese Beglückerin des menschlichen Lebens, diese mächtige Leiterin jeder nützlichen Tätigkeit, in ihrer ganzen Liebenswürdigkeit, Notwendigkeit und Nützlichkeit zu schildern?»
    Die Ordnungsliebe, so Campe, sei die Tugend und Pflicht einer jeden Hausfrau, und wehe, sie lässt es daran fehlen: «Widerlich und höchst traurig anzusehn ist das Bild eines Hauses, in welchem das Weib es an der Erfüllung dieser ihrer ersten hausmütterlichen Pflicht ermangeln, also Unordnung in den Sachen, Unordnung in den Geschäften und in der Lebensart der Familie einreißen lässt. Hier gerät gar bald alles in Verwirrung und in Verfall … der Greuel der Unsauberkeit nimmt Wohnzimmer, Schlafgemach und Vorratskammern ein, vergiftet die Luft, besudelt und verderbt Kleider und Hausrat, und verleidet jedem an Reinlichkeit gewöhnten Tischgenossen die ekelhafte Mahlzeit. Jede nützliche Beschäftigung stockt; denn bald fehlt es an diesem, bald an jenem verpolterten Werkzeuge; Einer wirft dem Andern den Vorwurf der Unordentlichkeit zurück; man zankt sich, man verbittert sich dadurch vollends jeden dürftigen Lebensgenuss, der für eine solche Familie etwa noch übrig bleiben mag; man bauet sich eine Hölle auf Erden, in welcher Einer des Andern Unhold und Peiniger ist. Ein jämmerlicher Zustand!»
    Ob sich Campes Tochter Charlotte über den wohlmeinenden «väterlichen Rat» gefreut haben mag? Der Erzieher und Pädagoge stand damals ja nicht alleine, ganz im Gegenteil. Wer kennt nicht die Verse aus Schillers Lied von der Glocke : «Und drinnen waltet/Die züchtige Hausfrau,/Die Mutter der Kinder,/Und herrschet weise/Im häuslichen Kreise,/Und lehret die Mädchen,/Und wehret den Knaben,/Und reget ohn Ende/Die fleißigen Hände,/Und mehrt den Gewinn/Mit ordnendem Sinn./Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,/Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,/Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein/Die schimmernde Wolle, den schneeigten Lein,/Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,/Und ruhet nimmer. // Und der Vater mit frohem Blick/Von des Hauses weitschauendem Giebel/überzählet sein blühendes Glück …» Für eine solche Rollenverteilung der Geschlechter steht die emanzipierte Frau von heute längst nicht mehr bereit, mag sich auch mancher stolze Hausvater wehmütig danach zurücksehnen. Aber gerettet über die Zeiten hinweg haben sich die pädagogischen Sprichwörter, die keineswegs nur für den weiblichen Teil der Gesellschaft Gültigkeit beanspruchen: «Halte Ordnung, liebe sie./Sie erspart dir Zeit und Müh.» Und dieses vor allem: «Ordnung ist das halbe Leben.»
    Das Wort Ordnung tritt im Deutschen häufig in Gefolgschaft anderer einschlägiger Begriffe auf, allen voran «Ruhe» und «Sicherheit»: «Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zu Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey», heißt es im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794. Wenn der Ruf nach «Ruhe und Ordnung» erschallt, geht es in aller Regel ans Eingemachte – wie etwa nach der entscheidenden preußischen Niederlage gegen die französischen Truppen am 14. Oktober 1806 bei Jena und Auerstedt, nach der der Stadtkommandant von Berlin den Aufruf plakatierte: «Der König hat eine Bataille verloren. Jetzt ist Ruhe die erste Bürgerpflicht.» Auch Goethe in Weimar bekam die Folgen zu spüren, als er am Abend jener Schlacht in seinem Haus von plündernden französischen Soldaten bedroht wurde; bekanntlich hat ihm das mutige Eingreifen seiner Lebensgefährtin Christiane Vulpius

Weitere Kostenlose Bücher