Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
Existenz des preußischen Staates bedrohte. Fontane hat dem General in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg ein Denkmal gesetzt. Der Dichter beschreibt darin das Friedersdorfer Herrenhaus der Marwitz, unweit von Seelow am Rande des Oderbruchs, und lässt die großen Gestalten des Brandenburger Adelsgeschlechts Revue passieren, darunter den erwähnten General. In seiner Kinderzeit hatte Friedrich August Ludwig zweimal Gelegenheit gehabt, dem «alten Fritz» zu begegnen, das letzte Mal 1785 in Berlin, ein knappes Jahr vor dessen Tod. Später erinnert sich Marwitz an das denkwürdige Ereignis:
«Er kam geritten auf einem großen weißen Pferd – ohne Zweifel der alte Condé, der nachher noch zwanzig Jahre das Gnadenbrot bekam … Das ganze Rondell und die Wilhelmstraße waren gedrückt voll Menschen, alle Fenster voll, alle Häupter entblößt; überall das tiefste Schweigen und auf allen Gesichtern ein Ausdruck voll Ehrfurcht und Vertrauen, wie zu dem gerechten Lenker aller Schicksale. Der König ritt ganz allein vorn und grüßte, indem er fortwährend den Hut abnahm … Bald lüftete er den Hut nur ein wenig, bald nahm er ihn vom Haupte und hielt ihn eine Zeitlang neben demselben, bald senkte er ihn bis zur Höhe des Ellenbogen herab. Aber diese Bewegung dauerte fortwährend, und so wie er sich bedeckt hatte, sah er schon bald wieder andere Leute und nahm den Hut wieder ab. Er hat ihn vom Halleschen Tor bis zur Kochstraße gewiss zweihundertmal abgenommen.
Durch dieses ehrfurchtsvolle Schweigen tönte nur der Hufschlag der Pferde und das Geschrei der Berlinischen Gassenjungen, die vor ihm hertanzten, jauchzten, die Hüte in die Luft warfen oder neben ihm hersprangen und ihm den Staub von den Stiefeln abwischten.
Bei dem Palais der Prinzessin Amalie angekommen, war die Menge noch dichter … Er lenkte in den Hof hinein, die Flügeltüren gingen auf, und die alte, lahme Prinzessin Amalie, auf zwei Damen gestützt, die Oberhofmeisterin hinter ihr, wankte die flachen Stiegen hinab ihm entgegen. Sowie er sie gewahr wurde, setzte er sich in Galopp, hielt, sprang rasch vom Pferde, zog den Hut, umarmte sie, bot ihr den Arm und führte sie die Treppe wieder hinauf. Die Flügeltüren gingen zu, alles war verschwunden, und noch stand die Menge entblößten Hauptes, schweigend, alle Augen auf den Fleck gerichtet, wo er verschwunden war, und es dauerte eine Weile, bis ein Jeder sich sammelte und ruhig seines Weges ging.
Und doch war nichts geschehen, keine Pracht, kein Feuerwerk, keine Kanonenschüsse, keine Trommeln und Pfeifen, keine Musik, kein vorangegangenes Ereignis! Nein, nur ein 73-jähriger Mann, schlecht gekleidet, staubbedeckt, kehrte von seinem mühsamen Tagewerk zurück. Aber jedermann wußte, dass dieser Alte auch für ihn arbeitete, dass er sein ganzes Leben an diese Arbeit gesetzt und sie seit 45 Jahren noch nicht einen einzigen Tag versäumt hatte! Jedermann sah auch die Früchte seiner Arbeiten, nah und fern, rund um sich her, und wenn man auf ihn blickte, so regten sich Ehrfurcht, Bewunderung, Stolz, Vertrauen, kurz, alle edleren Gefühle des Menschen.»
So beeindruckt zeigte sich der achtjährige Marwitz von seinem alten König, dem bald dessen Neffe, Friedrich Wilhelm II., auf dem Thron folgte. Im Alter von dreizehn trat Marwitz in die Armee ein, und zwar in das legendäre Kürassierregiment Gensdarmes, das sein Onkel einst im Siebenjährigen Krieg angeführt hatte. Man darf wohl von ihm sagen – wie Christian Graf von Krockow es in seiner Porträtgalerie berühmter deutscher Männer getan hat –, dass Marwitz ein «Soldat mit Leib und Seele» wurde. «Einer der tapfersten Offiziere und der tollste Reiter in der Armee, grob, schroff und knorrig», so sah ihn Heinrich von Treitschke. Marwitz kämpfte in den Feldzügen, die Preußen nach der Französischen Revolution in Polen und im Westen führte; 1806 erlebte er als Adjutant des Fürsten Hohenlohe den Zusammenbruch der preußischen Armee in der Schlacht bei Jena und Auerstedt; er geriet in französische Gefangenschaft, aber es gelang ihm die Flucht. In Königsberg drängte er den dorthin geflohenen Friedrich Wilhelm III. zur Erlaubnis, ein Freikorps gegen Napoleon aufzustellen, doch schließlich musste er sich den Vereinbarungen des Friedens von Tilsit fügen. Mit Beginn der Befreiungskriege 1813 aber schlug erneut seine Stunde. Er tat sich als Ausbilder der Landwehr hervor, kämpfte in den Schlachten bei Wittenberg und Magdeburg; und
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