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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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gehören.

Trinkfestigkeit
    W er nach Heidelberg kommt und sich das berühmte Schloss ansieht, stößt, wenn er vom Königssaal in den sogenannten Fassbau tritt, auf eine ganz besondere Attraktion: das berühmte Heidelberger Fass. Es misst sieben Meter in der Breite, achteinhalb Meter in der Länge und soll ein Fassungsvermögen von 219.000 Liter besitzen. Auf seine Oberseite ist ein Tanzboden gesetzt, den man über eine Treppe mit Geländer erreicht. Das Fass, das sich dem heutigen Besucher präsentiert, stammt aus dem Jahr 1751, gebaut im Auftrag des Kurfürsten Karl Theodor. Es ist bereits das vierte, das an dieser Stelle gezeigt wird. Das erste Modell aus dem ausgehenden 16. Jahrhundert war im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden; sein Holz wurde zum Feuermachen verwendet.
    Zu Füßen des Großen Fasses steht bis heute die Figur des Perkeo, des einstmaligen Hofnarren und Mundschenks des Kurfürsten. Der einen Meter große Zwerg war aus Südtirol an den Heidelberger Hof gekommen, und seinen Namen erhielt er, weil er auf die Frage, ob er das Große Fass allein austrinken könne, frei heraus entgegnete: «Perchè no?» – «Klar doch!» Schenkt man dem Heidelberger Studentenlied Das war der Zwerg Perkeo Glauben, hat er dies auch tatsächlich getan: «Perkeo stieg zum Keller;/Er kam nicht mehr herfür/Und sog bei fünfzehn Jahre/Am rhein’schen Malvasier./War’s drunten auch stichdunkel,/Ihm strahlte inneres Licht,/Und wankten auch die Beine,/Er trank und murrte nicht. // Als er zum Fass gestiegen,/Stand’s wohlgefüllt und schwer,/Doch als er kam zu sterben,/Klang’s ausgesaugt und leer./Da sprach er fromm: ‹Nun preiset,/Ihr Leute, des Herren Macht,/Die in mir schwachem Knirpse/So Starkes hat vollbracht.›» Der studentischen Legende zufolge soll der Geist des großen Weinvertilgers Perkeo heute noch des Nachts den Zechern auf der Straße auflauern.
    Wie wohl die meisten Heidelbergbesucher stellte auch ich mir, als ich zum ersten Mal im Fassbau stand, die Frage, wozu denn der Kurfürst in seinem Schloss ein so großes Fass brauchte. Angeblich soll es zum Einsammeln des sogenannten Zehntweins – der üblichen Naturaliensteuer – in der Kurpfalz gedient haben. Aber wollten der Kurfürst und sein Hof tatsächlich einen Verschnitt aus den verschiedensten Weinen und Weinlagen trinken? Kundige Historiker erklären, es sei überhaupt nur dreimal gefüllt worden – bis man feststellte, dass es nicht einmal dicht sei. Aber wozu dann ein Fass von der Größe einer Kathedrale, wenn es doch leer blieb? Mark Twain, den diese Frage auf seiner Europareise ebenfalls umtrieb, berichtet von einem englischen Gelehrten, der eine eigenwillige Theorie vertrat: Man habe das Fass gar nicht gebaut, um Wein zu lagern, sondern um die Sahne für das ganze Reich herzustellen. Es sei dann aber nicht verwendet worden, weil in Wahrheit irgendwo ein noch größeres versteckt sei. Ich habe mir dann meinen eigenen Reim auf das Große Fass von Heidelberg gemacht: Für mich stellt es das eindrucksvollste Denkmal dar, das man der ehrwürdigen deutschen Tugend der Trinkfestigkeit gesetzt hat.
    Dass die Trinkfestigkeit unbedingt zu den deutschen Tugenden zu zählen ist, davon konnte ich mich bereits nach kurzer Zeit in Deutschland überzeugen. Am Abend meines ersten Tages als Student in Tübingen stand im Corps meine feierliche Renoncierung als «Fuchs» auf dem Programm. Die anwesenden Füchse, Burschen und Chargierten versammelten sich in der Kneipe im Keller des Verbindungshaus. Unter allerlei Ansprachen, Gesängen und reichlich Bier erhielt ich die Mütze und Schleife des Corps. Die Trinkfestigkeit meiner Kommilitonen nötigte mir Bewunderung ab, und der Abend blieb nicht ganz ohne Folgen. In den nächsten Wochen und Monaten wurde ich dann mit den genauen Einzelheiten des «Biercomments» vertraut gemacht, der den «Bierverkehr» an der Kneiptafel regelte. Ich erfuhr, dass an einer solchen nur «bierehrliche» Personen teilnehmen durften und dass man der «Bierehre» schnell wieder verlustig gehen konnte. Ich lernte, dass das sogenannte Zutrinken in jedem Falle als eine Ehre angenommen werden musste. Bei anderen Corps ging es noch korrekter zu: Das Zutrinken konnte mit einem «Stück», einem «Halben» oder einem «Ganzen» erfolgen, und für das Erwidern des dargebrachten Quantums gab es zwingende Vorgaben, in der Regel waren dafür maximal fünf «Bierminuten» statthaft. Von jenen Corps wurde mir auch beigebracht, auf welche Weise

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