Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
gepachtet zu haben. Der Wille zur Toleranz schließt die Bereitschaft ein, miteinander ins Gespräch zu kommen, zu diskutieren und voneinander zu lernen.
Bei allen Fragen, die Toleranz betreffend, bleibt die zentrale: Wie hält es die Toleranz mit den Intoleranten? Verdienen auch jene, die selbst die Unduldsamkeit predigen und praktizieren, unsere Duldung? Die Antwort darauf erscheint mir unstrittig: Nur wer die Grundsätze und Spielregeln anerkennt, auf denen unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaft auf baut und die mit guten historischen Gründen als höchste Rechtsgüter im Grundgesetz festgelegt sind, hat auch das Recht, für sich Toleranz einfordern zu dürfen. Dazu gehören die Grundrechte der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der Gleichheit vor dem Gesetz, die Glaubens-, Gewissens-, und Bekenntnisfreiheit ebenso wie die Meinungsfreiheit – und, allen voran, das Bekenntnis zu den unveräußerlichen Menschenrechten. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar.
Treu und Redlichkeit
Ü b immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab/und weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab!/Dann wirst du wie auf grünen Au’n durchs Pilgerleben gehn/dann kannst du sonder Furcht und Graun dem Tod ins Antlitz sehn.»
Ein jeder kennt diese Zeilen, sie stammen aus der Feder von Ludwig Heinrich Christoph Hölty, einem Dichter des Göttinger Hainbundes. Der alte Landmann an seinen Sohn ist das Gedicht betitelt, eine väterliche Ermahnung zu Tugend und Frömmigkeit. Die Melodie, unter der es bekannt geworden ist, kommt aber gar nicht so fromm daher, es ist das Lied des Papageno aus Mozarts Zauberflöte : «Ein Mädchen oder Weibchen/wünscht Papageno sich!/O, so ein sanftes Täubchen/Wär’ Seligkeit für mich!» Im Jahre 1797, als Friedrich Wilhelm III., mit seiner anmutigen Gemahlin Luise an der Seite, den Thron bestieg, hielt die Weise von Treu und Redlichkeit Einkehr in Preußen.
Das Glockenspiel der Garnisonkirche zu Potsdam sollte neue Melodien bekommen, und Luise – zu diesem Zeitpunkt war sie noch Prinzessin – kümmerte sich höchstselbst um die Wahl der Stücke: Ein geistliches Lied für die volle Stunde, ein weltliches zu jeder halben, so wollte es die Tradition. Sie entschied sich für Lobet den Herrn und Üb immer Treu und Redlichkeit mit der Mozart’schen Melodie. Was mag sie dazu bewogen haben? Gut möglich, dass sie damit ein Zeichen setzen und sich vom Hofleben des verstorbenen Königs abgrenzen wollte. «Zur Zeit Friedrich Wilhelms II. herrschte die größte Liederlichkeit, alles besoff sich mit Champagner, fraß die größten Leckereien, frönte allen Lüsten. Ganz Potsdam war wie ein Bordell», so sah es der Bildhauer Johann Gottfried Schadow, und er stand mit dieser Ansicht nicht allein. Es war denn auch eine der ersten Amtshandlungen des neuen Königs, der Gräfin Lichtenau, der «offiziellen Mätresse» am Hof die Tür zu weisen. Sie wurde wegen Hochverrats und Unterschlagung angeklagt. Und als dies zu nichts führte, zog man ihr Vermögen ein, setzte sie in Festungshaft und verbannte sie anschließend nach Glogau. (Es musste erst Napoleon kommen, damit sie eine Entschädigung erhielt und wieder nach Berlin zurückkehren konnte.)
Vierundzwanzigmal am Tag erklang nun vom Turm der königlichen Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam der Aufruf zur Tugend. Auf dem Thron saß ein Ehepaar, das sich der Treue und Redlichkeit verschrieben hatte, also durfte man das auch von den Bürgern im Land erwarten. Ob die nicht doch eher die populären Zeilen aus Mozarts Zauberflöte dazu summten, wenn die Glocken schlugen – wer kann es sagen?
Jedenfalls überlebte die Glockenspielmelodie die Königin Luise ebenso wie Friedrich Wilhelm III. und alle ihm noch folgenden preußischen Könige und Deutschen Kaiser. Und auch, als Reichskanzler Adolf Hitler am 21. März 1933, dem «Tag von Potsdam», in der Garnisonkirche seinen ersten Staatsakt abhielt, erklang verlässlich zur halben Stunde Üb immer Treu und Redlichkeit. Von jenem Tag ist besonders das Bild in Erinnerung geblieben, wie Hitler nach dem Festakt vor der Kirche dem Reichspräsidenten Hindenburg begegnete. Hitler, in Cut und mit Zylinder, verneigte sich unterwürfig vor dem greisen Hindenburg, in Uniform und mit Pickelhaube, und reichte ihm dabei die Hand. Auch dieser Kanzler der Republik, das sollte die Geste demonstrieren, unterwirft sich wie alle anderen vor ihm der Autorität des Präsidenten. Er dachte aber gar nicht daran.
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