Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)
und mit welchem Kommando ein «Bierskandal» beizulegen war: «Hoch durch die Luft, setzt an, stoßt an, zieht!»
Das Trinken gehört gewiss überall zum Studentenleben; in Cambridge, meinem weiteren Studienort, war das nicht anders. Aber nirgendwo sonst auf der Welt ist mir ein derart ausgefeiltes Regelwerk dafür begegnet wie an den deutschen Universitäten. Auch wenn Tübingen eine traditionelle Weinregion ist: An der studentischen Kneiptafel wurde Bier getrunken, einen «Weincomment» gab und gibt es nicht. Nur zur Saison im September, wenn die Weinlese stattfand, wurde dem Wein der Vorzug gegeben, dann zogen wir hinaus zu den Besenwirtschaften.
Bier oder Wein – daran scheiden sich bis heute in Deutschland die Geister. Geradezu verpönt ist es, im Laufe eines Abends zwischen beiden Getränken hin und her zu wechseln: «Bier auf Wein – das lass sein!» – Diese Weisheit schallt einem entgegen, wenn man es doch tut. Glücklich ein Martin Luther, der sich nicht zwischen dem einen und dem anderen Getränk entscheiden musste: «Wie gut Wein und Bier hab’ ich daheime, dazu eine schöne Frau oder – sollt’ ich sagen – Herren.» Denn seine Katharina – genannt «Herr Catherin» – hatte im Kloster das Bierbrauen gelernt und braute höchstselbst im Schwarzen Kloster zu Wittenberg. Obendrein versuchte sie sich, des rauen Klimas zum Trotz, auch noch als Winzerin.
Gemeinhin hält man Bayern für die Heimat des Bieres, dabei trank man auch dort lange Zeit in höheren Kreisen nach römischer Tradition lieber Wein statt Bier. Bis ins 17. Jahrhundert hinein galt Bayern sogar als Weinland. Erst nachdem im Dreißigjährigen Krieg die meisten Weinberge zerstört worden waren, trat das Bier seinen allgemeinen Siegeszug als ein Getränk des ganzen Volkes an. Aber auf jeder fränkischen «Kärwa» (Kirchweih) wird man auch ein Weinzelt finden, in dem bei vorgerückter Stunde die Stimmung mindestens ebenso ausgelassen ist wie im benachbarten Bierzelt.
Seine «Lethe», seinen «Nil», seinen «Magen-Balsam», sein «Weihwasser» und seine «Letzte Ölung» nannte Jean Paul den Gerstensaft. Kein zweiter Dichter deutscher Zunge hat ihm so inniglich gehuldigt, wie er es tat. Aus «medizinischen» Gründen zog er ins «ärztlich» besser versorgte Bayreuth, weil dort der Braumeister Osmund das einzig brauchbare Bier braute, wie er diesem schrieb. «Bei der Einfahrt eines Bierfasses», erklärte Jean Pauls Frau Karoline, «läuft er seliger umher als bei dem Eintritt eines Kindes in die Welt.» Vor, während und nach der Arbeit war das Trinken ihm unerlässliche Inspiration: «Ich kenne keinen Gaumen-, nur Gehirnkitzel; und steigt mir eine Sache nicht in den Kopf, so soll sie auch nicht in die Blase.»
Eher dem Wein zugeneigt war der Geheime Rat Goethe in Weimar, dem wir neben allem anderen auch Entwürfe zu einem Aufsatz über den Weinbau verdanken. Bereits zum Frühstück durfte es ein Gläschen sein, des Mittags pflegte er «eine Bouteille allein zu leeren». In seinem Weimarer Haushaltsbuch hielt er die Zu- und Abgänge fest, unterteilt nach den jeweiligen Sorten: Burgunder, Erlauer, Würzburger, Wert-, Hoch- und Rüdesheimer, Aßmannshäuser, Muskat, Lünel, Stein-, Franz-, Rhein- und Frankenwein, Malaga, Madeira, Portwein, Champagner … Dagegen soll Schiller – wie Goethe seinem Eckermann anvertraute – dem Alkohol weniger zugetan gewesen sein: «Er hat nie viel getrunken, er war sehr mäßig; aber in solchen Augenblicken körperlicher Schwäche suchte er seine Kraft durch Likörs oder ähnliches Spirituoses zu steigern. Das aber zehrte an seiner Gesundheit und war auch der Produktion selbst schädlich, denn was gescheute Köpfe an seinen Sachen aussetzen, leite ich aus dieser Quelle her.» Aber Schiller hatte ja auch seine ganz eigenen Stimulanzien, wie wir ebenfalls aus Goethes Gesprächen wissen: faulende Äpfel, die er in der Schublade seines Schreibtisches verwahrte und einen «fatalen Geruch» verbreiteten. Schillers Frau erklärte dem staunenden Geheimrat, «dass die Schieblade immer mit faulen Äpfeln gefüllt sein müsse, indem dieser Geruch Schillern wohl tue und er ohne ihn nicht leben und arbeiten könne».
Der aus Norwegen stammende Naturforscher Henrik Steffens erhielt in der Silvesternacht des Jahres 1800 auf 1801 die besondere Gelegenheit, die verschiedene Wirkung des Alkohols auf die Weimarer Dichterdioskuren zu studieren. Zur Feier des neuen Jahrhunderts wurde ein Maskenball gegeben und im
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