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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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Zwei Tage später wurde vom Reichstag das «Ermächtigungsgesetz» verabschiedet, mit dem sich Hitler die unumschränkte Macht sicherte.
    Die Garnisonkirche erlebte dann noch einige Paraden und Aufmärsche, bevor das Glockenspiel zum letzten Mal ertönte: in der Potsdamer Bombennacht vom 14. April 1945, der auch Turm und Kirche zum Opfer fielen. Einige Potsdamer wollen gehört haben, dass die Glocken wie von Geisterhand einige Zeit fortwährend Üb immer Treu und Redlichkeit gespielt hätten, bevor der Turm in Flammen aufging und das Glockenspiel in die Tiefe stürzte.
    «Meine Ehre heißt Treue», lautete der Wahlspruch der SS, man ließ ihn in die Koppelschlösser der Uniformen einprägen. Die Treue aber, die Hitler einforderte, war nichts anderes als Nibelungentreue, die unverbrüchliche Treue bis in den Untergang. Seit jenen Zeiten hat die Treue als staatsbürgerliche Tugend ihren guten Ruf verloren. Absolute Treue, darin ist man sich einig, kann allenfalls noch Dackeln abverlangt werden, Menschen aber auf keinen Fall.
    «Üb immer Treu und Redlichkeit»: In dieser Wendung stecken zwei Substantive. Redlichkeit, das ist die Treue zu sich selbst. Man kann einer Person oder einer Sache die Treue halten, man muss sich dabei aber immer auch selber treu bleiben können. Man muss anständig bleiben, die eigenen Grundsätze dürfen niemals verraten werden. So verstanden, lassen sich Treue und Redlichkeit gar nicht voneinander trennen.
    Treu und Redlichkeit kannte man aber auch außerhalb Preußens. Es ist der Wahlspruch der Kaufmannstugend, wie sie sich in den Hansestädten ausgeprägt hat. Wenn man noch weiter zurückgehen will, leitet er sich von der antiken bona fides , der «guten Treue» ab, deren sich der römische Bürger verpflichtet wusste. In Geschäfts- und Rechtsangelegenheiten, so der Grundsatz, konnte man sich aufeinander verlassen. In der Formel «Treu und Glauben» hat er auch ins deutsche Rechtssystem Eingang gefunden.
    «Mein Sohn, sei mit Lust bei den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, dass wir bei Nacht ruhig schlafen können», lautet die Maxime der Kaufmannsfamilie Buddenbrook in Thomas Manns gleichnamigem Roman – es ist eben jener Grundsatz, den Thomas Manns Großvater Johann Siegmund Mann sich für die Geschäfte seines Familienunternehmens gewählt hatte. In den Buddenbrooks hat Thomas Mann der hanseatischen Kaufmannstugend ein Denkmal gesetzt und zugleich vor Augen geführt, wohin es kommen kann, wenn man sich ihr nicht mehr verpflichtet fühlt. Die Buddenbrooks und ihr althergebrachter Tugendkatalog sind zum Untergang bestimmt, an ihre Stelle treten die neuen Geschäftspraktiken eines Hermann Hagenström: «Die legere und großzügige Art, mit der er Geld verdiente und verausgabte, war etwas Anderes als die zähe, geduldige und von streng überlieferten Prinzipien geleitete Arbeit seiner Mitbürger.»
    Kommt einem das, mehr als hundert Jahre nach den Buddenbrooks, nicht irgendwie bekannt vor? Im heutigen Wirtschaftsleben sind die Tugenden von Treu und Redlichkeit vielerorts abhandengekommen – mit den bekannten Folgen, denen wir uns heute gegenübersehen. Helmut Schmidt hat diesen Zustand so beschrieben: «Ich teile die Menschheit in drei Kategorien ein: Zur ersten Kategorie gehören wir normalen Menschen, die irgendwann in ihrer Jugend mal Äpfel geklaut oder im Supermarkt einen Schokoriegel in die Tasche gesteckt, sonst aber nicht viel ausgefressen haben. Die zweite Kategorie von Menschen hat eine kleine kriminelle Ader. Und die dritte besteht aus Investmentbankern, bisher weitgehend legale Übeltäter.»
    Auf Treue und Redlichkeit als familiäre Tugenden beriefen sich auch manche, die aus einer hanseatischen Kaufmannsfamilie stammten, den vorgezeichneten Berufsweg aber nicht einschlagen wollten. Arthur Schopenhauer beispielsweise, dessen Vorfahren Kaufleute aus Danzig waren, schrieb einmal an Goethe: «Alles, was ich in Zukunft zu leisten zuversichtlich hoffe, wird einzig und allein dieser Treue und Redlichkeit zu danken sein. Denn diese Eigenschaften, die ursprünglich nur das Praktische betreffen, sind bei mir in das Theoretische und Intellektuelle übergegangen. Ich kann nicht rasten, kann mich nicht zufriedengeben, solange irgendein Teil eines von mir betrachteten Gegenstandes noch nicht reine, deutliche Kontur zeigt.» Ebenso hielt es Thomas Mann, als er in seinem berühmten Vortrag Lübeck als geistige Lebensform auf diesen Brief Schopenhauers Bezug nahm und sein eigenes

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