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Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition)

Titel: Deutsche Tugenden: Von Anmut bis Weltschmerz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asfa-Wossen Asserate
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Anschluss daran noch «einige Bouteillen Champagner» geköpft. «Da fiel mir, der ich mit meiner nordischen Virtuosität nüchterner blieb als die alten Herren, die Veränderung auf, die mit zwei so bedeutenden Persönlichkeiten vorging. Goethe war unbefangen lustig, ja übermütig, während Schiller immer ernsthafter ward und sich in breiten doctrinären ästhetischen Explicationen erging.» Vielleicht liegt darin auch der Grund, warum ihm selbst sein Punschlied wenig inspiriert geraten ist. Nicht jedem dient der Alkohol gleichermaßen als Stimulanz. Das wusste auch Robert Gernhardt: «Seht ihn an, den Dichter./Trinkt er, wird er schlichter./Ach, schon fällt ihm gar kein Reim/Auf das Reimwort ‹Reim› mehr eim.»
    Viele große deutsche Dichter haben dem Alkoholgenuss und den Folgen ihre Reverenz erwiesen. Eines meiner Lieblingswerke in diesem Zusammenhang ist Wilhelm Buschs Zyklus Die Haarbeutel . «Heut bleibt der Herr mal wieder lang./Still wartet sein Amöblemang./Da kommt er endlich angestoppelt./Die Möbel haben sich verdoppelt …» Egal, ob Bauer Bunke, Ladenjunge Fritze, Studiosus Döppe und Meister Zwiel: Im Zustand der Trunkenheit häufen sich vor ihnen die Schwierigkeiten, sich zurecht- und nach Hause ins Bett zu finden. Wohl dem, der da eine gute Seele an seiner Seite weiß, die ihn im Fall des Falles wieder sicher nach Hause führen kann. In Wien gab es bis vor einiger Zeit noch die Möglichkeit, sich zu diesem Zweck einen Dienstmann zu bestellen, der einen begleitete, wenn man zum Heurigen nach Grinzing auf brach. Eine segensreiche Einrichtung – wenn einem dabei nicht das widerfährt, wovon Hans Moser in dem berühmten Wiener Lied singt: «Ich habe mir für Grinzing einen Dienstmann engagiert,/der mich nach Hause führt, wann irgendwas passiert,/denn auf den Wein kann sich der Mensch ja nicht verlassen,/da wackelt z’erscht der Kopf und dann die ganze Gassen!/Ich hab’ mir für Grinzing einen Dienstmann engagiert,/der hat mich numeriert, damit mir nix passiert!/Jedoch am Ende dieser seligen Partie,/do woar der Dienstmann no viel b’soffener als i!» Wie für so viele schöne Sitten gilt auch für diese: Schade, dass sie ausgestorben ist.
    Trinkfestigkeit war noch bis vor einiger Zeit in Deutschland in niederen und höheren politischen Kreisen geradezu ein Ausweis besonderer Befähigung – nicht nur in der bayerischen Provinz, auch in der Bundeshauptstadt Bonn. Als Konrad Adenauer im Jahr 1961 zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik eine Frau zur Ministerin ernannte – Elisabeth Schwarzhaupt wurde Bundesministerin für Gesundheit –, kritisierten dies Abgeordnete seiner eigenen Partei mit den Worten: «Eine Frau ist für ein solches Amt nicht trinkfest genug.» Auch die «vierte Macht» im Staate wollte und konnte da mithalten. Rudolf Augstein antwortete 1978 in einem Interview mit dem Playboy auf die Frage, ob er trinke: «mäßig, aber regelmäßig, etwa sechs Flaschen Bier pro Tag». Erst in den letzten Jahren weht in der öffentlichen Sphäre der Wind der Askese. Vorbei sind die Zeiten, da die Gesichter der Teilnehmer in den Fernseh-Talkshows hinter dichten Rauchschwaden verschwanden und die versammelten Journalisten am Sonntagmorgen im «Internationalen Frühschoppen» mit ein paar Viertelchen Wein ihre Zunge lösten. Aber immer noch pilgert die Prominenz der Parteien einmal im Jahr zum Politischen Aschermittwoch nach Passau, um in Bierzelten Maßkrüge zu stemmen und krachende Reden zu halten.
    Wird in Deutschland anders getrunken als anderswo? Jedenfalls sollte, wer sich als Fremder in ein bayerisches Bierzelt, einen Biergarten oder gar ins Hof bräuhaus begibt, schon ein wenig mit den örtlichen Gepflogenheiten vertraut sein. Im Hofbräuhaus, erzählt man sich, soll einmal ein Herr, offensichtlich norddeutscher Herkunft, «ein kleines Helles» bestellt haben. Die nachsichtige Kellnerin gab ihm zur Antwort: «Geh’n ’S, Herr, bleiben ’S noch a bisserl sitzen und warten ’S, bis ’S an Durst für a Maß beinander ham.» Roger Boyes, langjähriger Deutschlandkorrespondent der britischen Times , hat das Trinkverhalten im britischen Pub mit dem im bayerischen Bierzelt verglichen. Aber ob seine Beobachtungen tatsächlich ins Schwarze treffen? Der Engländer, so Boyes, stürze das erste Bier förmlich hinunter, um seine Hemmungen zu überwinden: «Es wird schnell getrunken wie Medizin.» Es sei die Voraussetzung, dass er sich mit seinen Begleitern unterhalten könne.

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