Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
gewesen.«
Bei der Vernehmung durch Beamte des LKA 125 räumt René Meller lediglich ein, »dem Gör eine gelangt« zu haben, weil sie nicht stillgehalten habe, als er sie waschen wollte.
Denise Malowsky behauptet, als sie ins Bad gekommen sei, habe sie nichts Ungewöhnliches bemerkt. »Chantal hat geheult, aber sonst wirkte sie okay.«
Bei der Untersuchung des Tatorts finden die Ermittler diverse Fotoapparate und stellen routinemäßig die Speicherkarten sicher. Die Auswertung der Bilddaten schockiert sogar die routinierten Kripobeamten. Auf buchstäblich jedem Foto weisen die drei Kinder Verletzungen auf: Hämatome an der Stirn, blaue Augen, aufgeschlagene Lippen, Hautunterblutungen an Wangen und Kinn.
»Das sieht aus wie ein Teller bunter Knete«, sagt Kriminalhauptkommissarin Marion Henske aufgebracht. »Ich denke, die Familie wurde von Helferinnen betreut! Wieso haben die denn nichts bemerkt?«
Nun werden auch Jessica Stiglitz und Mandy Hausner vernommen. Als vom Jugendamt beauftragte Helferinnen hatten sie eine sogenannte
Garantenstellung:
Sie waren verpflichtet, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Kinder zu schützen.
»Alle drei Kinder hatten ständig Verletzungen«, hält Hauptkommissarin Henske ihnen vor. »Warum haben Sie das nicht beim Jugendamt gemeldet?«
Jessica Stiglitz räumt sofort ein, dass sie die Verletzungen bei Maurice, Robin und Chantal bemerkt hat. »Am Anfang kam mir das schon komisch vor«, sagt sie. »Aber die Mutter hatte immer Erklärungen parat, und ich bin schließlich Sozialpädagogin und keine Ärztin. Woher hätte ich wissen sollen, wie diese Verletzungen entstanden sind?«
»Gegenfrage«, kontert die Hauptkommissarin. »Wie viele Familien kennen Sie, deren Kinder andauernd mit Veilchen und Blutergüssen im Gesicht herumlaufen?«
Die junge Sozialarbeiterin ist den Tränen nahe. »Keine«, murmelt sie. »Aber an wen hätten wir uns denn wenden sollen?«
Marion Henske sieht sie kopfschüttelnd an. »Es muss doch bei Ihrem Träger Richtlinien für solche Fälle geben«, sagt sie. »Und wofür haben Sie schließlich Vorgesetzte? Wenn Sie sich überfordert fühlen, dann müssen Sie eben mit der Leitung Ihres Trägers sprechen, damit die eine ärztliche Untersuchung der Kinder veranlasst!«
Jessica Stiglitz beißt sich auf die Unterlippe und gibt keine Antwort. Aber die Kriminalhauptkommissarin ahnt auch so, was der jungen Helferin durch den Kopf geht.
»Ich habe mir etwas vorgemacht«, sagt Jessica Stiglitz am Ende der Vernehmung. »Ich wollte, dass bei den Malowskys alles gut ist, weil sie ja schließlich mich als Helferin haben. Und was nicht in dieses Bild passte, habe ich wohl einfach ausgeblendet.«
Die junge Frau ist sichtlich erschüttert. Sie fühlt sich mitschuldig am Tod der kleinen Chantal. Nach diesem fatalen Fehlstart in ihren Traumberuf ist sie sich nicht einmal mehr sicher, ob sie weiterhin als Sozialarbeiterin tätig sein will.
Dabei bescheinigen sich das zuständige Jugendamt und der freie Träger auch in diesem Fall nach eingehender Prüfung, dass keinerlei Fehler begangen worden seien. Ein weiterer tadelloser Kinderschutzeinsatz also. Nur das Kind, das so vorbildlich geschützt wurde, ist leider tot.
Ein Fehler im – oder mit? – System
Noch einmal ist zu fragen: Warum versagt unser kostspieliges Kinderschutzsystem mit so grausamer Regelmäßigkeit? Wie kann es sein, dass immer wieder Kinder auch und gerade in solchen Familien misshandelt werden, die das Jugendamt angeblich »intensiv beobachtet« und aufwendig betreuen lässt?
Einen Teil der Antwort haben wir bereits gegeben: Die Helfer, die zu den Familien geschickt werden, sind vielfach zu jung und unerfahren. Es fehlt ihnen selten an Idealismus und Motivation, aber sehr häufig an Erfahrung und Kompetenz. Oftmals sind sie außerstande, die Schliche und Ausflüchte von Eltern zu durchschauen, die dank jahrelanger Routine ganz genau wissen, wie sie die Helfer manipulieren können.
Bei dieser Tätigkeit, die so fordernd wie schlecht bezahlt ist, wird buchstäblich kaum jemand alt: Nach wenigen Jahren im »Fronteinsatz« sehen sich die meisten Erziehungs- und Familienhelfer nach besser vergüteten und weniger aufreibenden Stellen um. Sie bilden sich zu Familien- oder Paarberatern weiter, wechseln in den Sozialmedizinischen Dienst von Kliniken oder Altenpflegeeinrichtungen oder auf einen Verwaltungsposten. So erklärt sich, dass meist die einzigen Helfer, die die gefährdeten Kinder zu
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