Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
Kinderschützerin den letzten ihrer Routinebesuche bei Familie Küstritz hinter sich brachte.
Blinde Helfer, taube Kontrolleure
Anders als beim Fall
Nadine Küstritz
treten die Jugendamtsmitarbeiter meist nicht selbst als Helfer auf, sondern delegieren diese Aufgabe an freie Träger. Das ist im Prinzip eine sinnvolle Arbeitsteilung: Die Helfer müssen zum Wohl der Kinder eine vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern aufbauen. Wären sie zugleich Kontrolleure, die notfalls Zwangsmaßnahmen verhängen können, dann würden sich viele Eltern überwacht fühlen und die Zusammenarbeit verweigern. So weit jedenfalls die Theorie.
Die Praxis sieht vielfach ganz anders aus: Häufig fühlen sich die Eltern der »betreuten« Familien gleichwohl durch die Helfer überwacht – und spielen ihnen wahre Rührstücke vor. Folglich könnten die Sachbearbeiter in den Jugendämtern vielfach selbst beim besten Willen ihre Kontrollfunktion nicht ausüben, da die erforderlichen Informationen nicht zu ihnen gelangen. So füllen also Hunderttausende hilfloser Helfer und Zehntausende ahnungsloser Kontrolleure tagtäglich ihre Berichte und Akten mit belanglosen Floskeln. Einmal pro Quartal treffen sie sich zur Fallbesprechung, in der sie sich gegenseitig versichern, wie gut sich ihre Schützlinge entwickeln. Doch in vielen Fällen ist das musterhaft betreute Kind kurz darauf tot oder durch Misshandlung für sein Leben geschädigt – und wieder einmal sind Wächter und Helfer einträchtig erstaunt, weil sich die Wirklichkeit so gar nicht mit ihrer Aktenlage deckt.
Dabei scheint die Idee, die praktische Hilfsarbeit an freie Träger zu übertragen, eigentlich noch aus einem weiteren Grund plausibel: Der Staat tut prinzipiell gut daran, nur seine Kernaufgaben durch Beamte ausführen zu lassen. Ein freier Wettbewerb unterschiedlicher Träger bietet sehr viel bessere Voraussetzungen dafür, dass sich diejenigen Konzepte durchsetzen, die dem Kindeswohl am besten dienen. So weit wiederum die Theorie.
In der Praxis findet ein ganz anderer Wettbewerb statt: Am erfolgreichsten sind diejenigen Hilfsorganisationen, die die (unausgesprochenen) Erwartungen der Jugendämter und der »unterstützten« Eltern am besten erfüllen. Diese gemeinsamen Erwartungen lassen sich, nur leicht überspitzt, auf einen simplen Nenner bringen: Die Kinder sollen, betreut von Erziehungshelfern, in den Familien bleiben – so lange wie irgend möglich und nahezu um jeden Preis. Da trifft es sich gut für die freien Träger, dass sich diese Erwartungen mit ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen decken.
Für die Kinder selbst, deren Wohl der ganze Aufwand angeblich dienen soll, bedeutet das in Hunderttausenden Fällen chronische Misshandlung. Für die freien Träger aber, die ihre Helfer in die Familien schicken oder Einrichtungen wie betreutes Mutter-Kind-Wohnen betreiben, bedeutet dieselbe stillschweigende Übereinkunft ein höchst lukratives Geschäft. Das floriert so lange, wie aus den »betreuten« Familien nichts nach draußen dringt, was selbst den abgestumpftesten Jugendamtsmitarbeiter zur Kinderschutzintervention zwingen würde.
Wie lässt sich aber erklären, dass im Wettbewerb der »gemeinnützigen« Träger nicht diejenigen den Sieg davontragen, die dem offiziellen Ziel des aufwendigen Systems am besten dienen – also dem Schutz der gefährdeten Kinder? Hier drängt sich ein böser Verdacht auf: Möglicherweise ist der eigentliche Zweck dieses Systems eben nicht der bestmögliche Schutz der gefährdeten Kinder, sondern vielfach nur dessen möglichst eindrucksvolle Simulation. Frei nach dem Motto: Eine Sozialbürokratie und -industrie, die so viele tausend Menschen beschäftigt und so viele Milliarden Euro verschlingt, kann nicht ganz untauglich sein.
Tatsächlich aber verfehlt sie nicht nur ihren erklärten Zweck, sondern hilft sogar aktiv mit, Tag für Tag und in unzähligen Fällen, Misshandlung zu verschleiern, zu ermöglichen, zu verlängern: indem die »Helfer« und die »Wächter« den Anschein erwecken, rastlos zum Wohl der Kinder tätig zu sein, während sie in Wahrheit ihre Augen verschließen oder sogar tatenlos zusehen, wie ihre vermeintlichen Schützlinge misshandelt und vernachlässigt werden.
Helfer im Doublebind
Die Zehntausende Erziehungs- und Familienhelfer, die in die Familien geschickt werden, sind die schwächsten Glieder im deutschen »Kinderschutz«-System. Meist sind es Mitarbeiter der freien Träger, so abhängig von ihren
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