Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
sie massive Gehirnverletzungen erlitten hat. Das kleine Mädchen bleibt für den Rest seines Lebens halbseitig gelähmt.
Auf die Frage, was mit dem Kleinkind passiert sei, antwortet Nadine Johansson nur immer wieder: »Ich war allein mit Mandy. Sie ist von der Couch gefallen – mit dem Köpfchen voran.«
Die junge Frau ist immer noch schreckensbleich. Allem Anschein nach steht sie unter Schock. Ihre Erklärung für die lebensgefährlichen Verletzungen des Kindes erscheint vollkommen unglaubhaft.
Die Klinik bittet uns um ein Gutachten. Noch am selben Tag untersuchen wir Mandy.
»Die schweren Kopfverletzungen können keinesfalls durch einen Sturz vom Sofa verursacht worden sein«,
halten wir fest.
»Bei einem solchen Sturz aus geringer Höhe und auf eine weiche Unterlage (Teppich, Babydecke) hätte das Kind sich höchstens eine harmlose Beule zugezogen. Ursächlich war vielmehr massive Gewalteinwirkung. Aufgrund des Verletzungsmusters kommen Fußtritte oder Einklemmen des Kopfes zwischen Tür und Türrahmen in Betracht.«
Als wir unser Gutachten Monate später bei der Gerichtsverhandlung erläutern, werden wir nicht nur im Gerichtssaal, sondern auch in den Pausen auf dem Flur von Nadine Johanssons Eltern wüst beschimpft. »Lügner und Verleumder« sind noch die harmlosesten Ausdrücke, die sie uns an den Kopf werfen.
Aber die Richterin lässt sich dadurch so wenig wie von den Unschuldsbeteuerungen der Kindsmutter beeindrucken. Nadine Johansson wird wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen zu zwei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Ihr Verteidiger legt umgehend Berufung ein. Und in der zweiten Instanz bringt Nadine Johansson eine völlig neue Geschichte vor.
»Ich war damals doch nicht allein mit Mandy«, räumt sie ein. »Javier war bei mir – Javier Gonzales, mein damaliger Freund. Meine Eltern wussten nichts von ihm. Mein Vater hatte gedroht, dass sie mich nicht länger unterstützen würden, wenn ich wieder eine Liebesbeziehung anfangen würde. Und ich bin doch auf meine Eltern angewiesen – wegen Mandy!«
Sie wirft ihren Eltern, die wieder im Zuschauerbereich sitzen, einen Blick zu. Ihr Vater durchbohrt sie mit seinen Blicken, die Mutter hält den Kopf gesenkt.
Stockend erzählt Nadine Johansson weiter. Javier hatte an jenem Abend nur ein paar Stunden Zeit. Sie lagen eng umschlungen auf dem Sofa, auf dem Boden schlief die kleine Mandy auf ihrer Decke.
Javier war gerade dabei, Nadine die letzten Kleidungsstücke vom Leib zu zerren, da wachte das Baby auf. Und fing an, wie am Spieß zu schreien.
»Sag ihr, sie soll Ruhe geben«, verlangte er.
Nadine versuchte alles, aber Mandy gab einfach keine Ruhe. Sie wollte kein Fläschchen, keinen Schnuller, kein Spielzeug. Die Kleine stieß alles zur Seite und schrie einfach weiter.
»Komm wieder her«, forderte Javier. »Lass sie plärren.«
Sie versuchten es auf diese Weise, aber Mandy schrie immer lauter. Und da sprang Javier plötzlich auf und trat dem Baby mit voller Wucht von oben auf den Kopf.
Mit einem Schlag war Ruhe. Und alles voller Blut.
»Scheiße, das wollte ich nicht«, sagte Javier.
Während Nadine wie gelähmt auf ihr Baby starrte, zog sich Javier schon die Hose hoch. Er stopfte sein Hemd in den Gürtel und war im nächsten Moment bei der Tür.
»Sorry«, sagte er noch. »Ich verschwinde besser.«
Dann ging die Tür hinter ihm zu.
Sie habe ihn nie wiedergesehen, so beendet Nadine Johansson ihre Geschichte. Javier und sie hätten oft davon gesprochen, dass sie zusammen nach Paraguay gehen wollten, in sein Heimatland. Bestimmt sei er längst allein dorthin zurückgekehrt.
»Dieser feige Verbrecher!«, stößt sie hervor. »Er hat mein Baby zum Krüppel gemacht!«
Sie schlägt aufschluchzend die Hände vor ihr Gesicht.
Und das Gericht spricht sie »zweiter Klasse« frei.
Freispruch für Baby-Totschüttler?
Richter am Landgericht Berlin oder einer anderen deutschen Großstadt blicken tagtäglich in menschliche Abgründe. Wer über viele Jahre hinweg in Mord- und Totschlagsprozessen Urteile spricht, dem können schon mal die Maßstäbe verrutschen.
Kindliche Knochenbrüche, Platzwunden, Blutergüsse – das verheilt doch alles wieder, oder etwa nicht? Na also. Eigentlich kaum der Rede wert.
Doch selbst abgestumpfte Richter dürften mit Unbehagen vermerken, dass das Strafgesetz gerade bei einer der schwersten Formen der Kindesmisshandlung sehr häufig nicht greift. Die Rede ist vom Schütteltrauma
(Shaken Baby
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