Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
sind?«, fragt sie weiter. »Hat Jethro da geschlafen oder war er auf Renés Arm?«
Die junge Frau zuckt zusammen. »Auf Renés Arm? Nein, der Kleine war in seinem Bettchen im Schlafzimmer. Er hatte gerade getrunken und hat friedlich geschlafen. Meistens schläft er dann drei, vier Stunden. Bis dahin wäre ich längst wieder daheim gewesen.«
»Mit Jethro war also alles in Ordnung, als Sie und LeeLee gegangen sind? Keine Anzeichen, dass er krank war oder sich nicht wohlfühlte?«
Nicole Güstrow schüttelt den Kopf, dass ihre Kreolen klimpern. »Der Kleine war total gesund!«, beteuert sie. »Jethro ist eigentlich ein liebes Baby«, fügt sie hinzu. »Nur manchmal bekommt er diese Schreianfälle. Dann schreit er auch schon mal zwei Stunden ohne Pause. Und egal, ob man ihn rumträgt oder schaukelt oder ihm was vorsingt – er hört dann einfach nicht mit dem Schreien auf!«
Sogenannte Schreikinder sind besonders gefährdet, Opfer von Schüttelangriffen zu werden, das weiß auch Marion Henske. Manche Säuglinge leiden unter frühkindlichen Regulationsproblemen. Die Folge sind diese Schreianfälle, durch die Eltern schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gelangen können.
Besonders junge, unerfahrene Eltern fühlen sich oftmals unter irrationalem Erfolgsdruck, wenn sie es auch nach Stunden nicht geschafft haben, ihr Kind zu beruhigen. Hinzu kommen vielfach Projektionen aus ihrer eigenen Kindheit (»Mein Baby liebt mich nicht – so wie auch ich als Kind nicht geliebt worden bin«). In dieser Stresssituation rasten Mütter oder Väter manchmal aus – zumal wenn sie ihre aggressiven Impulse nicht unter Kontrolle haben, was offenkundig auf René Masunke zutrifft.
»Vielleicht ist Jethro aufgewacht und hat zu schreien begonnen, während Sie nicht da waren«, überlegt die Oberkommissarin laut. »Was glauben Sie, wie hätte René in dieser Situation reagiert?«
Nicole Güstrow sieht sie erschrocken an. »Nein, so war das nicht«, gibt sie hastig zurück. »René hat im Wohnzimmer einen Zombiefilm geschaut, und Jethro war die ganze Zeit nebenan in seinem Bettchen. Das hat René zu mir gesagt, und er würde mich niemals anlügen.«
Bei dieser Aussage bleibt Nicole Güstrow. Doch gleichzeitig hat sie zu Protokoll gegeben, dass Jethro vollkommen gesund gewesen sei, als sie ihn bei René Masunke zurückgelassen habe. Dieser Sachverhalt wird von der siebenjährigen LeeLee bestätigt. Und so entschließt sich die Staatsanwaltschaft, Anklage gegen René Masunke zu erheben.
Bei einem Schütteltrauma treten, wie geschildert, unmittelbar nach der Misshandlung Symptome auf. Diese sind so gravierend, dass auch medizinisch ungeschulte Personen sie kaum übersehen können. Der schwerst geschüttelte Säugling reagiert in keinerlei Hinsicht mehr »normal«. Er verweigert die Nahrungsaufnahme, verhält sich apathisch oder erleidet Krampfanfälle, die Arme und Beine in spastische Zuckungen versetzen. Wenn Jethro also nach Aussagen der Mutter und der siebenjährigen Tochter noch »völlig gesund« war, als sie ihn dem Vater überließen, dann kommt nur René Masunke als Täter in Frage.
Bis zur Gerichtsverhandlung vergehen sieben Monate. In dieser Zeit befindet sich Jethro unter der Obhut des Jugendamtes in einer Pflegeeinrichtung für schwerbehinderte Kinder. Der über René Masunke schwebende Verdacht scheint Nicole Güstrows Liebe zum Vater ihrer Kinder jedoch nicht geschmälert zu haben. Eher im Gegenteil – sie erscheint hochschwanger vor Gericht. Zum dritten Mal schwanger von René Masunke.
Der Angeklagte hebt die Hand zum Schwur. »Ich habe Jethro nicht angefasst!«
Und Nicole Güstrow erklärt diesmal: »Der Kleine hatte schon in den Tagen davor immer wieder Krämpfe.«
»Also lässt sich auch nicht feststellen, wann genau der Vorfall stattgefunden hat – und durch wen«, führt Masunkes Verteidiger genüsslich aus.
Die Staatsanwältin gibt sich noch nicht geschlagen. »Frau Güstrow«, ruft sie der Mutter in Erinnerung, »vor sieben Monaten haben Sie ausgesagt, dass Jethro vollkommen gesund gewesen sei, als sie ihn Herrn Masunke überließen.«
»Habe ich das gesagt?«, antwortet Nicole Güstrow. »Da muss ich in der Aufregung etwas durcheinandergebracht haben.«
Die Staatsanwältin weist das Gericht darauf hin, dass die ursprüngliche Aussage der Mutter weitaus glaubwürdiger sei als die nun vorgebrachten Erklärungen.
Aber der Vorsitzende Richter geht darauf nicht ein. »Da der Säugling nach Aussage der
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