Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
Mutter schon seit Tagen an Krampfanfällen gelitten hatte«, erklärt er bei der Urteilsverkündung, »lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, wer das Schütteltrauma verursacht hat.«
Wohlgemerkt: Die Tatsache,
dass
Jethro durch diese massive Form der Kindesmisshandlung für sein ganzes Leben schwerstgeschädigt worden ist, zieht das Gericht keine Sekunde lang in Zweifel. Trotzdem fährt der Richter »im Namen des Volkes« so fort:
»Der Angeklagte René Masunke wird aus Mangel an Beweisen freigesprochen.«
Man kann dem ungeborenen Geschwisterkind von LeeLee und Jethro nur wünschen, dass es seinen Vater niemals beim Anschauen von Zombiefilmen stören wird.
Rechtsstaat kontra Kinderschutz?
An dem hehren Rechtsgrundsatz
In dubio pro reo
wollen auch wir selbstverständlich nicht rütteln. Für eine strafbare
Handlung
kann und darf nur derjenige verurteilt werden, dem diese Tat zweifelsfrei nachgewiesen worden ist.
Doch auch das
Unterlassen
einer (schützenden, rettenden) Handlung kann strafbar sein, und das Gesetz erlaubt hier sogar ein ähnlich hohes Strafmaß (§ 13 St GB ). Diesen Ausweg aus dem Dilemma der Freisprüche »zweiter Klasse« nutzen die Gerichte allerdings nur äußerst selten. In Berlin haben wir es in sieben Jahren nur ein einziges Mal erlebt, dass ein Richter in einem Kindesmisshandlungsfall
»wegen Misshandlung durch Unterlassen«
verurteilt hat.
In Kapitel 11 gehen wir auf die Gründe ein, aus denen Gerichte bislang nur selten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Und wir erläutern, warum § 13 St GB trotzdem ein wirksames rechtsstaatliches Instrument sein kann, um Freisprüche »zweiter Klasse« für Kindesmisshandler zu vermeiden.
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5 Das Schweigen der Ärzte
Hunderte misshandelter Kinder werden tagtäglich in deutschen Kinder- und Jugendarztpraxen vorgeführt. Meist sind es die elterlichen Misshandler selbst, die medizinische Versorgung für ihre kleinen Opfer verlangen. Dabei tischen sie den Ärzten mehr oder weniger fantasievolle Lügengeschichten auf: Der ungeschickte Nachwuchs ist angeblich gegen Türen gerannt, auf der Treppe gestolpert, von der Couch gefallen oder auf dem Spielplatz vom Klettergerüst gestürzt.
Solche kindlichen Unfälle kommen zweifellos vor, allerdings nicht annähernd so oft, wie sie in den Krankenberichten der Kinder- und Jugendärzte auftauchen. Dafür findet sich die Diagnose »Kindesmisshandlung« in den Patientenakten der niedergelassenen Ärzte hierzulande nur äußerst selten.
Woran liegt das? Mit etwas Erfahrung und Recherche müssten Ärzte selbst ohne gründliche rechtsmedizinische Ausbildung imstande sein, auffällige Misshandlungsspuren von unfalltypischen Verletzungen zu unterscheiden. Zumal die Erklärungen der Eltern oftmals offenkundig nicht zu den Blessuren der Kinder passen.
Ein Kleinkind, das vom Sofa auf den Teppich fällt, kann sich dadurch eine Beule zuziehen – aber ganz bestimmt keinen Schädelbruch. Hämatome mit symmetrischem Striemenmuster im Gesicht oder auf dem Rücken eines Kindes können in sehr seltenen Einzelfällen eine harmlose Erklärung finden – in aller Regel sind es aber sichere Hinweise auf vorsätzliche Körperverletzung durch Schläge, Auspeitschen oder Ähnliches. Bissverletzungen können in der Tat von einem kleinen Geschwisterkind stammen – aber das verfügt in der Regel nicht über den ausgewachsenen Kiefer eines Erwachsenen.
Gleichwohl zweifeln die Kinder- und Jugendärzte nur äußerst selten die Erklärungen der Eltern an. Sie verarzten die kleinen Opfer oder überweisen sie erforderlichenfalls in die Unfallklinik – darüber hinaus unternehmen sie nichts. So werden tagtäglich Hunderte misshandelter Kinder wieder in die Hände ihrer Peiniger übergeben, mit aktiver Beihilfe der Ärzte oder zumindest mit ihrer stillschweigenden Duldung.
Die Kinder- und Jugendärzte dürfen nicht länger wegschauen
Die niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte sind in einer Schlüsselposition, was die Erkennung von Kindesmisshandlung angeht. Säuglinge und Kleinkinder bis zum vierten Lebensjahr sind besonders misshandlungsgefährdet. Und Kinderärzte sind oftmals die einzigen Fachkräfte, denen die Kinder in diesem Lebensabschnitt – aufgrund der regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen – vorgeführt werden.
Idealerweise könnten sie gestörte Eltern-Kind-Beziehungen rechtzeitig erkennen und entsprechende Hilfen initiieren, damit es gar nicht erst zur Misshandlung kommt. Dafür müssten sie
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