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Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)

Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)

Titel: Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tsokos , Saskia Guddat
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nicht lebensnotwendig. So sieht Dr. Liebert das, und von zahlreichen Fortbildungswochenenden weiß sie, dass die Mehrheit ihrer Kollegen ähnlich denkt.
    »Machen Sie sich um Gottes willen nicht auch noch Vorwürfe«, sagt sie zu Tom Helmholtz. »Selbst bei der größten Vorsicht kann man niemals ganz ausschließen, dass ein Säugling an unerkannten Stoffwechselstörungen leidet.«
    Tom schüttelt den Kopf und sieht die Ärztin düster an. »Ich weiß, dass die Ärzte in der Klinik das glauben«, sagt er. »Ich habe ihnen erzählt, dass Lukas aus heiterem Himmel Krämpfe und Zuckungen bekommen hätte. Aber das stimmt nicht.«
    Seine Stimme klingt plötzlich heiser. Dr. Liebert mustert ihn besorgt. Doch sie ahnt noch immer nicht im Mindesten, was der junge Vater ihr gleich gestehen wird.
    »Ich habe ihn geschüttelt«, sagt Tom Helmholtz. »Ich hatte mich schon seit Wochen kaum mehr getraut, ihn anzufassen – aus Angst, dass ich wieder ausrasten und Lukas schlagen würde. Aber was ich dann mit ihm gemacht habe, war tausendmal schlimmer!«
    Er beginnt krampfhaft zu schluchzen.
    »Seien Sie nicht zu hart mit sich selbst«, sagt Dr. Liebert zum Abschluss ihres Gesprächs. »Sie haben in einer extremen Stresssituation für einen Moment die Nerven verloren und müssen nun mit den Folgen leben. Weiß Ihre Frau denn, was wirklich passiert ist?«
    Tom Helmholtz nickt, ohne sie anzusehen. »Wir haben in Andeutungen darüber gesprochen. Sie weiß es. Nur wegen Lukas will sie, dass wir zusammenbleiben.«
     
    Drei Jahre nach der Tat wird Simone Helmholtz erneut schwanger. Nun bleibt sie zu Hause und kümmert sich zusammen mit einem ambulanten Pflegedienst um beide Kinder, während Tom mit einem schlecht bezahlten Bürojob für den Lebensunterhalt der Familie sorgt.
    Nach der Arbeit geht er jeden Tag ins Kinderzimmer und sitzt stundenlang an Lukas’ Pflegebett. Er pflegt und füttert den Jungen, erzählt ihm all die kleinen Ereignisse des Tages und fragt ihn um Rat. Er bildet sich sogar ein, dass Lukas ihm antworten würde, so nah fühlt er sich ihm nun. Und so sehr wünscht er sich, dass Lukas ihm verzeihen kann.
    Doch gleichzeitig vergisst Tom Helmholtz keine Sekunde lang, dass das, war er Lukas angetan hat, unverzeihlich ist. Er hat das Leben seines Sohnes zerstört, bevor es richtig begonnen hatte. Da ist es nur gerecht, dass auch sein eigenes Leben nur noch aus dem miesen Job, den stummen Vorwürfen seiner Frau und den täglichen Bußgängen zu Lukas besteht.
     
    Kurz nach seinem fünfzehnten Geburtstag verstirbt Lukas an der letzten in einer langen Reihe lebensgefährlicher Lungenentzündungen. Die Ärzte in der Klinik bescheinigen einen »nicht natürlichen Tod«.
    Wir obduzieren den Leichnam bei uns im rechtsmedizinischen Institut. Dabei zeigt sich, dass Lukas’ Gehirn fast vollständig zu blasigen Zysten degeneriert ist – die typischen Symptome eines extremen Schütteltraumas.
    Wir fordern alle noch verfügbaren Krankenakten an und vertiefen uns in das umfangreiche Material. In der ältesten Akte, die bis zu Lukas’ Geburt zurückreicht, stoßen wir auf das Protokoll eines Arzt-Patient-Gesprächs. Vor fast 15  Jahren hat die Kinderärztin Dr. Sandra Liebert festgehalten, was Tom Helmholtz ihr damals anvertraut hat.
    Aufgrund unseres Gutachtens und der Ermittlungen des LKA 125 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Tom Helmholtz. Die Tat liegt zwar fast 15  Jahre zurück, aber Körperverletzungsdelikte mit Todesfolge verjähren erst nach dreißig Jahren.
    Vor Gericht leugnet Tom Helmholtz, dass er Lukas als Säugling massiv geschüttelt habe. Höchstens habe er »Hoppereiter« mit dem Kleinen gespielt, behauptet er nun.
    Seine Verteidigerin macht sich sogar lustig über unser Gutachten. »Lukas hatte häufig Bauchschmerzen«, führt sie aus. »Deshalb hat Herr Helmholtz die Beinchen seines Sohnes in kreisende Bewegung versetzt, um ihm Erleichterung zu verschaffen. Vielleicht ist dabei ja das Gehirn im Kopf des Säuglings rotiert wie eine Apfelsine in einem Wasserglas!«
    Das Gericht fällt auf diese Ausflüchte nicht herein und erklärt den Angeklagten der schweren Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig. Doch Tom Helmholtz findet einen milden Richter: Er wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt und muss keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen.
»Tom Helmholtz«,
heißt es in der Urteilsbegründung,
»hat seine Strafe im Grunde schon abgebüßt, indem er sein schwerstgeschädigtes

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