Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
Meetings. Ansonsten sind die Kinder ihren jungen Müttern überlassen, bei denen vielfach auch die aktuellen Lover Unterschlupf finden. Der Gedanke, die orientierungslosen Eltern mit ein paar elementaren Hygiene-, Ernährungs- oder Erziehungsregeln bekanntzumachen, scheint den vor Ort tätigen Helfern häufig fremd zu sein.
In unserem Gutachten heben wir die Anzeichen chronischer Vernachlässigung und Misshandlung bei Jason Mulanski hervor.
»Die dreimalige Infektion mit Skabies (Krätze) nahezu des gesamten Körpers sowie die Kalzifizierungsbänder in den Röntgenaufnahmen als Zeichen einer frühen Rachitisform können als Hinweise auf eine Vernachlässigung der körperlichen Pflege bzw. der Versorgung sowie der Ernährung verstanden werden.«
Jasons
»auffällige Zugewandtheit Untersuchern gegenüber«
werten wir
»als Hinweis auf eine länger dauernde wiederholte Kindesmisshandlung«.
Abschließend fassen wir zusammen:
»Aus rechtsmedizinischer Sicht steht hier eine mehrfache sowie mehrzeitige schwere Kindesmisshandlung in Kombination mit einer Kindesvernachlässigung stark im Vordergrund.«
Beim Konfrontationsgespräch ist auch Kriminaloberkommissarin Marion Henske vom LKA 125 anwesend. Cheyenne Mulanski weist alle Vorwürfe von sich. Als sie feststellen muss, dass die Runde ihren fantasievollen Erklärungsversuchen keinen Glauben schenkt, zieht sie ihre letzte Trumpfkarte.
»Jetzt verrate ich Ihnen mal, wo und wie der Kleine wirklich gebissen worden ist«, hebt sie an. »Vor kurzem war ich mit Jason im Zoo. Da ist er in den Käfig der Koalabären gekrabbelt – und die Biester haben ihn angegriffen!«
Sie wirft einen triumphierenden Blick in die Runde.
»In den Berliner Zoos gibt es keine Koalabären«, kontert Dr. Lucia Paretti trocken. »Zufällig bin ich eine begeisterte Zoobesucherin und weiß das ganz genau.«
Cheyenne Mulanski stößt einen Wortschwall hervor, der überwiegend aus wüsten Beschimpfungen besteht.
Die beiden Polizeibeamten, die sich in einem Nebenraum bereitgehalten haben, bringen die junge Mutter zur Vernehmung ins Landeskriminalamt. Ihr wird vorgeworfen, ihren Sohn Jason fortgesetzt misshandelt und vernachlässigt zu haben.
Der zuständige Jugendamtsmitarbeiter ordnet Jasons Unterbringung bei Pflegeeltern an. Hoffentlich hat er auch veranlasst, dass die Einrichtung für »betreutes Mutter-Kind-Wohnen« geschlossen wird.
Oder zumindest entwest und desinfiziert.
Warum manche Eltern bissig sind
Die
Internationale Klassifikation psychischer Störungen
listet, wie schon erwähnt, chronische Kindesmisshandlung als Ausdruck seelischer Störungen auf. Dass Eltern, die ihre Kinder fortgesetzt schlagen, häufig geisteskrank sind, mag nicht jedem Leser einleuchten. Aber selbst Befürworter der »Prügelstrafe« werden wohl kaum in Zweifel ziehen, dass Eltern, die ihren Kindern wiederholt Bisswunden zufügen, unter einer ernsthaften psychischen Störung leiden.
Eltern, die wegen Beißattacken auf ihre Kinder ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten, sind häufig drogensüchtig bzw. wegen beginnender Schizophrenie oder anderer Persönlichkeitsstörungen in psychiatrischer Behandlung. Wegen ihrer seelischen Störung mangelt es ihnen an elementaren elterlichen Fähigkeiten, deshalb sind sie mit der Betreuung ihrer Kinder völlig »überfordert«, wie das im Jargon der Sozialpädagogen heißt.
Junkies und Schizophrene sind weder empathisch noch in der Lage, ihre aggressiven Impulse zu kontrollieren. Während eines schizophrenen Schubs kann es durchaus passieren, dass eine innere Stimme dem Geisteskranken befiehlt, das Kind zu verletzen oder zu töten.
Bei der Befragung räumen alkohol- oder drogensüchtige Eltern oftmals ein, dass sie zur fraglichen Zeit im Drogenrausch waren. Die einen erinnern sich nur noch verschwommen, ihr Kind gebissen zu haben. Andere sehen die Beißattacke zwar wie eine Filmszene vor sich, können aber selbst nicht mehr erklären, was sie dazu veranlasst hat, dem Kind am ganzen Körper Bisswunden zuzufügen.
So oder so fehlt es ihnen fast immer an Schuld- oder Unrechtsbewusstsein. »Ich habe die Kleine doch nur ganz liebevoll gebissen«, bekommen Sozialarbeiter beim Jugendamt beispielsweise zu hören. Oder auch: »Wo ist das Problem? Das Kind hat schließlich zuerst mich gebissen! Ich habe nur zurückgebissen, damit es lernt, dass das wehtut.«
Viele Ärzte und Helfer wiederum, denen die gebissenen Kinder vorgeführt werden, können oder wollen sich nicht
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