Deutschland misshandelt seine Kinder (German Edition)
vergessen.«
Als sie zurückkam, bot sich ihr im Gruppenraum ein Bild des Schreckens. Devin mit blutigem Gebiss, Lokman mit Verletzungen übersät, die anderen Kinder starr vor Angst.
Die Erzieherin muss sich wegen fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht vor Gericht verantworten.
»Ria Helmbeck und vor allem die ihr anvertrauten Kinder hatten gewaltiges Glück, dass nicht noch Schlimmeres passiert ist«, sagt die Richterin bei der Urteilsverkündung. »Zehn zweijährige Kinder mehr als eine halbe Stunde lang sich selbst zu überlassen ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die Aufsichtspflicht.«
Vor Gericht stellt sich allerdings auch heraus, dass Devin Schreiner schon aus drei verschiedenen Kindergärten geflogen war. Devins Mutter hatte bei der Anmeldung verschwiegen, dass ihr Sohn ein notorisches »Beißkind« ist.
Das nützt Ria Helmbeck jedoch nichts. Wäre sie zur Stelle gewesen, wie es ihre Pflicht war, dann hätte der beißwütige Junge sein Opfer höchstens ein- oder zweimal attackieren können. Die Erzieherin wird zu einer Geldstrafe verurteilt und bekommt von ihrem Arbeitgeber die Kündigung.
Gebranntes Kind
Melinda Schmittner ist Anfang zwanzig und vor sechs Monaten zum ersten Mal Mutter geworden. Sie war glücklich mit der kleinen Maddy, doch jetzt rennt sie schreiend die Straße entlang, das wie leblose Baby im Arm.
Melinda ist verheiratet. Ihr Mann Maurice ist zwei Jahre älter als sie und arbeitet in einer betreuten Werkstatt. Melinda wollte ihn anrufen, als das mit dem Baby passiert war, aber sie war so durcheinander, dass sie ihr Handy nicht fand. So konnte sie auch nicht den Notarzt rufen, und deshalb rennt sie jetzt im Bademantel eine belebte Straße im Berliner Norden entlang.
»Hilfe!«, schreit Melinda. »Mein Baby!«
Glücklicherweise wird eine Polizeistreife auf sie aufmerksam. Die Beamten fragen Melinda Schmittner, was denn passiert sei, aber aus ihren Antworten werden sie nicht schlau. Doch dann streift einer von ihnen die Kapuze vom Köpfchen des Babys und vergisst vor Schreck zu atmen.
Der Kopf des Babys sieht aus, als hätte ihn jemand in einen glühenden Holzkohlengrill gesteckt.
Die Polizisten bringen Mutter und Kind auf dem schnellsten Weg in die Uniklinik. Maddy kommt sofort auf die Kinderintensivstation. Die Kopfschwarte des Säuglings ist verbrannt, die Verbrennung reicht bis in den Schädelknochen hinein. Dem Kinderchirurgen bleibt keine Wahl: Er muss das verbrannte Gewebe großflächig herausschneiden. Maddy hat eine lebensgefährliche Verletzung erlitten. Und nach wie vor ist aus der vollkommen konfusen Mutter nicht herauszubekommen, was passiert ist.
»Ruft Ines oder Lara an«, wiederholt sie nur immer wieder. »Und sagt Maurice Bescheid!«
Schließlich stellt sich heraus, dass Ines und Lara zwei Familienhelferinnen sind, die Melinda Schmittner und ihre Familie seit einem Jahr betreuen. Melinda ist geistig behindert, genauso wie ihr Mann Maurice. Ines Müller und Lara Maske sind speziell für die Arbeit mit geistig behinderten Eltern ausgebildet. Wochenlang haben sie mit Melinda und Maurice Schmittner geübt, um sie für die Betreuung ihres Babys fit zu machen.
Die Klinik verständigt das Jugendamt. Der zuständige Sachbearbeiter weist Lara Maske an, direkt in die Klinik zu fahren. Ines Müller soll Maddys Vater an seiner Arbeitsstätte abholen und gleichfalls ins Krankenhaus bringen. Zusätzlich macht der Jugendamtsmitarbeiter Meldung beim LKA 125 , das uns um ein rechtsmedizinisches Gutachten bittet.
Die Befragung der jungen Mutter durch Kriminalkommissarin Emma Drillich gestaltet sich mühsam. Melinda Schmittner ist uneingeschränkt kooperationswillig, aber mit einem IQ von 59 kann sie nur einfachste Sachverhalte verbalisieren. Außerdem ist sie vor Angst um Maddy noch immer außer sich.
Mithilfe der Sozialarbeiterin Lara Maske gelingt es schließlich, zumindest grob zu rekonstruieren, was laut Melinda Schmittner am frühen Nachmittag in ihrer Wohnung passiert ist.
Die Familienhelferinnen haben den jungen Eltern eingeschärft, das Baby »nicht einfach irgendwo herumliegen zu lassen«. Sie sollen Maddy zum Schlafen in ihr Bettchen oder auf eine Matratze legen, die im Kinderzimmer auf dem Boden liegt. Melinda Schmittner beteuert, diese Regeln beachtet zu haben. Zuerst habe sie mit Maddy auf der Matratze gekuschelt. Dann sei die Kleine eingeschlafen und sie selbst sei ins Bad gegangen, um Badewasser für ihr Baby einzulassen. Um Maddy nicht zu stören,
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