Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
nicht so wichtig, was man arbeitet und was man dafür bekommt. Entscheidend für das Selbstgefühl und die persönliche Zufriedenheit ist das Bewusstsein, den eigenen Unterhalt und den der Familie bestreiten zu können, und der Zwang zur disziplinierten Lebensführung, der sich aus regelmäßigen Pflichten und einem durch sie strukturierten Tageslauf ergibt.
Es war einmal Mode, von Entfremdung durch Arbeit zu reden. Dies war ein Missverständnis, denn die Sperrigkeit und Unbequemlichkeit des im Moment gerade Ungeliebten, die mit jeder Arbeit verbunden sind, und deren erfolgreiche Überwindung durch Willenskraft und Anstrengung ist ja die eigentliche Quelle der persönlichen Befriedigung. Wirkliche Entfermdung erfährt der Überflüssige, wenn ihm staatliche Transfers den Kauf hochkomplexer Produkte einer Arbeitswelt gestatten, in der er selber gar nicht benötigt wird. Die Demütigung liegt nicht darin, dass die Gütermenge, die ihm die Transfers ermöglichen, zu gering wäre, er wird sie sowieso immer als zu gering empfinden, sondern darin, dass niemand seiner Dienste bedarf.
Diese Demütigung kann auf zweierlei Weise kompensiert werden, nämlich aktiv, indem man Selbstbestätigung in einer Betätigung sucht, sei es bezahlte Arbeit, sei es Sport, sei es eine ehrenamtliche Aufgabe, oder indem man sich passiv verhält und aufkommende Unzufriedenheiten
verscheucht, indem man Süßigkeiten, Alkohol, Zigaretten und Videos konsumiert. Diese Variante bevorzugt erfahrungsgemäß der harte Kern der Transferempfänger.
Konsum kann das Gefühl der Demütigung nur betäuben, nicht beseitigen. Oft führt er in die Sucht. Das ist schlecht für die persönliche Entwicklung der Betroffenen und ihren künftigen produktiven Einsatz und katastrophal für die Entwicklung der ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen. Und die werden immer mehr, denn die tatenlos von Unterstützung Lebenden suchen zunehmend Lebenssinn in der Gründung großer Familien nach dem Motto: »Wenn mich sonst niemand braucht, so brauchen mich wenigstens meine Kinder!« Mehr Kinder bedeuten zugleich mehr Transferleistungen. Hier liegt eine der Quellen für den wachsenden Anteil von Kindern und Jugendlichen in den sogenannten bildungsfernen Schichten. Über das generative Verhalten wird so eine Entwicklung in Gang gesetzt, die für die Zukunft der Gesellschaft mindestens so bedrohlich ist wie die rein quantitativen Veränderungen durch die demografische Alterung.
Geht die Arbeit aus?
Dass Arbeit dem Leben Sinn und dem Menschen Halt gibt, darüber kann man streiten. Es handelt sich dabei um eine Ansicht werthaften und fast schon philosophischen Charakters, und das bedeutet, dass Auseinandersetzungen darüber zu keinem objektiven oder einhelligen Ergebnis führen können. Die Behauptung, dass der modernen Gesellschaft die Arbeit ausgeht, lässt sich dagegen sehr wohl objektiv überprüfen, und man kann eindeutig entscheiden, ob sie zutrifft oder nicht.
Zunächst einmal kann man feststellen, dass physische Produkte wie ein Kilo Brot, ein Frühstücksei, ein Baumwollhemd und zahlreiche Dienstleistungen gemessen am Wert der bezahlten Arbeit kontinuierlich billiger werden ( Tabelle 5.1 ). Richtig ist aber auch, dass die Menschen trotz stark gestiegener Realeinkommen ihr Geld aus-geben. Die Sparquote der deutschen privaten Haushalte ist im langfristigen Trend nicht gestiegen, in den USA ist sie sogar gesunken (Schaubild 5.1).
Tabelle 5.1 Notwendige Arbeitszeit eines Durchschnittsverdieners für typische Konsumprodukte von 1950 bis heute
Quelle: Statistisches Bundesamt, Entwicklung der Bruttoverdienste, Preise ausgewählter Güter ab 1948; Zahlen gerundet, Produktpreise für 2008 eigene Schätzung.
Der in den Industriestaaten über Jahrzehnte zu beobachtende Trend eines sinkenden Arbeitsvolumens ist zum Stillstand gekommen. Es wurde bereits erwähnt, dass je Einwohner in Deutschland rund 700 Stunden Erwerbsarbeit pro Jahr erbracht werden, das sind zwar 30 Prozent weniger als 1960, aber nur neun Prozent weniger als 1990 in der alten Bundesrepublik. In den USA, in der Schweiz, in Schweden und vielen anderen mit uns vergleichbaren Industrieländern ist der Umfang der bezahlten Erwerbsarbeit pro Kopf der Bevölkerung deutlich höher. 2 Soziale Gewohnheiten, eine unterschiedliche Art der sozialen Sicherung, unterschiedliche Lohnstrukturen und unterschiedliche rechtliche Rahmenbedingungen führen nämlich bei ansonsten vergleichbaren Industriestaaten zu
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