Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
beträchtlichen Unterschieden im Arbeitsvolumen pro Kopf.
Viel mehr als das Volumen hat sich die Struktur der Erwerbstätigkeit geändert. Immer weniger Menschen sind in den Industriestaaten in der physischen Warenproduktion beschäftigt. In der Industrie, im Baugewerbe, im Handwerk und in der Landwirtschaft arbeiteten 1960 noch 62 Prozent aller Beschäftigten in der Bundes-republik, bis 2008 war dieser Anteil auf 27,4 Prozent gesunken. 3 Gleichzeitig sank überall der Anteil einfacher Tätigkeiten. Heute entfallen 2008 Prozent des privaten Verbrauchs in Deutschland auf Konsumgüter aus dem Ausland (2008), 4 in den USA liegt dieser Anteil 5 sogar bei 27,4 Prozent (2009). Der Auslandsanteil an der industriellen Wertschöpfung des Konsumgüterverbrauchs ist noch viel höher.
Schaubild 5.1 Sparquote in Prozent des verfügbaren Einkommens der privaten Haushalte in Deutschland und in den USA
Quelle: Deutsche Bundesbank, Grafik erstellt aus Werten mit 10-Jahres-Abständen.
Für die Versorgung mit physischen Massengütern - von der Waschmaschine bis zum Oberhemd - wird heute nur noch ein geringer und fortwährend sinkender Teil der Beschäftigten gebraucht. Da die Preise dieser Güter im Verhältnis zu den durchschnittlichen Arbeitsentgelten sinken, fällt auch ihr Wertschöpfungsanteil. Auf der anderen Seite wächst der Arbeitskräftebedarf im Gesundheits-, Pflege-, Sport- und Freizeitbereich sowie bei unterschiedlichsten Dienstleistungen. Doch die Nachfrage bei vielen einfachen Dienstleistungen ist sehr preisempfindlich, was in der Tendenz die Löhne drückt, und das heißt, nicht die Arbeit als solche geht uns aus, sondern es wächst am unteren Ende des Arbeitsmarktes die Diskrepanz zwischen den Preisen, zu denen Arbeit angeboten, und den Preisen, zu denen Arbeit nachgefragt wird.
Es kommt also darauf an, die Rahmenbedingungen so zu setzen,
dass sich Erwerbsarbeit für möglichst viele Menschen lohnt. Dieses Ziel verträgt sich in Deutschland aber nicht mit dem durch die Grundsicherung gesetzten impliziten Mindestlohn am Arbeitsmarkt, dessen Höhe durch das garantierte sozioökonomische Existenzminimum definiert wird. 6 Das bedeutet, dass es tendenziell keine Arbeitsnachfrage zu Löhnen gibt, die netto nicht mindestens 60 Prozent des Medianeinkommens erreichen. Ein Problem stellen also jene Menschen dar, deren Arbeitsproduktivität nicht bei mindestens 60 Prozent der Medianproduktivität liegt. Dieses Problem wird zusätzlich kompliziert durch vielfältige Hemmnisse aufgrund unterschiedlicher Qualifikationsstrukturen, unterschiedlicher regionaler Teilmärkte sowie Lebensalter und Gesundheit der Betroffenen.
Eine Lösung könnte darin liegen, dass es in der mit physischen Gütern wohlversorgten, älter werdenden Gesellschaft der Zukunft einen wachsenden Bedarf an persönlichen Dienstleistungen auch einfacher Art geben wird. Die Kaufkraft dieser Nachfrage hängt zum großen Teil vom Preis der Arbeit ab. Ein Problem stellt dann immer noch jene Gruppe dar, die aufgrund von Sozialisationsdefiziten oder aus anderen Gründen nicht in der Lage und nicht willens ist, die Anforderungen zu erfüllen, die auch die einfachste persönliche Dienstleistung voraussetzt: Pünktlichkeit, Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit.
Wie die Behauptung, uns gehe die Arbeit aus, hält sich auch hartnäckig das Argument, wenn uns die Arbeit schon nicht ausgehe, dann werde zumindest die relativ besser bezahlte Lohnarbeit immer knapper werden und die schlechter bezahlte Arbeit relativ zunehmen. Vom Lohn könne man heute oft nicht mehr »anständig leben«. Dies Argument spielt eine zentrale Rolle in der Mindestlohndebatte.
Richtig ist daran, dass der Anteil der unbefristet sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an allen Erwerbstätigen in den letzten Jahren gesunken ist und jetzt noch 66 Prozent beträgt, während der Anteil der atypisch Beschäftigten (in Minijobs, Teilzeit, Zeitarbeit) zugenommen hat. Auch hat der Anteil der Niedriglöhne (weniger als zwei Drittel des Medianverdienstes) zugenommen. Der Arbeitsmarkt ist differenzierter, vielfältiger und schwieriger geworden, die Ungleichheit hat zugenommen. 7 Überhaupt nicht auszuschließen ist, dass Flexibilisierungen wie die Beschäftigung in Zeitarbeit oder über Minijobs von Arbeitgebern ausgenutzt werden. 8 Dennoch haben Arbeitnehmer selbst bei niedrigen Bruttolöhnen aufgrund des Zusammenwirkens mit dem Transfersystem netto deutlich mehr als die Grundsicherung zur
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