Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
Verfügung. Zudem ist es immer noch besser, zu einem niedrigen Lohn zu arbeitet als gar nicht zu arbeitet - und zwar für die Volkswirtschaft wie für die Betroffenen. 9
Tabelle 5.2 Der Zusammenhang von Bruttolohn, Nettolohn und verfügbarem Einkommen (alle Angaben in Euro, teilweise gerundet)
Selbst bei einem Stundenlohn von nur 5 Euro hat ein Arbeitnehmer wegen der höheren Transfers mehr zur Verfügung als mit der Grundsicherung alleine (siehe Tabelle 5.2 ). Allerdings macht der Unterschiedsbetrag bei einem tatsächlichen Stundenlohn von 5 Euro nur 1,68 Euro aus, bei 7,50 Euro tatsächlichem Stundenlohn steigt er auf 1,93 Euro, und selbst bei 10 Euro tatsächlichem Stundenlohn sind es lediglich bei 2,94 Euro. Bei diesen Beträgen kann man verstehen,
dass mancher es vorzieht, sein Einkommen durch Schwarzarbeit aufzubessern. Es gib Schätzungen, dass in Deutschland etwa ein Sechstel des Sozialprodukts durch Schwarzarbeit erwirtschaftet wird. 10 Dieses Problem verschärft sich, wenn die Grundsicherung steigt, und es verschärft sich auch, wenn die Anrechnungsregeln strenger werden. Es ist also gar nicht die Frage, ob man von seinem Lohn anständig leben kann, sondern ob offizielle Lohnarbeit attraktiv ist, wenn der Abstand zur Grundsicherung überschaubar bleibt. Das lässt sich lösen, indem man
• die Grundsicherung deutlich absenkt
• die Anrechnungsregeln lockert
• einen hohen Mindestlohn verbindlich vorschreibt.
Die erste Lösung entspräche dem angelsächsischen, strikt marktwirtschaftlichen Modell. Sie hätte in Deutschland nicht nur wenig Verwirklichungschancen, sondern wäre auch sozialpolitisch kontraproduktiv, wenn für alle ein Grundeinkommen nach dem sozioökonomischen Existenzminimum gesichert werden soll.
Der zweite Weg, die Entschärfung von Anrechnungsregeln, kostet Geld, könnte aber auch Geld einsparen, wenn für viele Empfänger von Grundsicherung der Anreiz wächst, eine bezahlte Arbeit aufzunehmen.
Der dritte Weg funktioniert nur mit entsprechend hohen Arbeitslöhnen, er kostet nicht nur Arbeitsplätze, sondern würde auch die Zahl der Empfänger von Grundsicherung entsprechend erhöhen und könnte deshalb teuer sein.
Arbeit in einer vernetzten Welt
Der Einfluss des technischen Fortschritts
Der technische Fortschritt hat etwas Faszinierendes und zugleich etwas äußerst Beängstigendes. Das Faszinierende liegt in dem ständigen Vorstoß in qualitativ neue, unbekannte Dimensionen, die auch der meist auf herkömmlichen Pfaden wandelnden menschlichen Fantasie bis dahin verschlossen waren, und in der Multiplizierung
menschlicher Kräfte und Fähigkeiten. Auf der anderen Seite findet eine permanente Entwertung menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten und damit auch überkommener Arbeitsinhalte statt.
Die fortlaufende Entwertung überkommener menschlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten ist nichts Neues, sondern hat die ganze Menschheitsgeschichte geprägt: Wer kann heute noch mit Pfeil und Bogen umgehen, wer beherrscht die Kunst des Feuermachens ohne Zündholz? Während aber früher Innovationen in Abständen von Jahrhunderten tröpfelten, folgen sie heute so schnell aufeinander, dass sie im Laufe eines Berufslebens die Arbeitsinhalte mehrfach verändern können. Das Schlagwort vom »lebenslangen Lernen« weist in die richtige Richtung, aber es hilft jenen nicht weiter, die sich mit dem Lernen schwertun oder die für das umstürzend Neue einfach zu alt sind.
Wo der technische Fortschritt Arbeitsplätze in Produktionshallen, Servicestationen und kaufmännischen Abteilungen überflüssig macht, bilden sich zwar stets auch neue Arbeitsplätze heraus. Aber es sind bei gleicher Produktion an Zahl weniger, und sie erfordern ganz andere, meist höhere Qualifikationen, häufig auch in ganz anderen Firmen. So oder so gelingt es kaum, aus einem 45-jährigen Maschinenschlosser einen Systemprogrammierer zu machen.
Die Umwälzung der technischen Produktionsverhältnisse und die damit verbundene Entwertung von Fähigkeiten geschieht immer schneller. Wir fühlen das nicht so stark, weil der Wertschöpfungsanteil der physischen Produktion in der modernen Industriegesellschaft immer kleiner wird. Dies liegt an der gigantischen Verschiebung der relativen Preise: Ein Schnitt beim Herrenfriseur, der heute 15 Euro kostet, war in den fünfziger Jahren für eine DM zu haben. Ein Farbfernseher kostet heute den Gegenwert von 30 Friseurbesuchen. Damals kostete ein Schwarzweißfernseher den Gegenwert von
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