Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
von Hans-Werner Sinn beschriebenen Basarökonomie kommen, 11 nämlich dass der durchschnittliche deutsche Wertschöpfungsanteil an den Exportprodukten sinkt und damit der Anteil der
importierten Vorleistungen am Export steigt. Für Deutschland trifft das zu, gleichwohl kann der Arbeitsplatzeffekt eines steigenden Vorleistungsanteils positiv sein, wenn damit bestehende Exporte verteidigt und unter Umständen sogar zusätzliche Exporte ermöglicht werden. Als positiver Gegeneffekt kann sich zudem erweisen, dass die Vorleistungsanteile ausländischer Importe einen wachsenden Umfang deutscher Vorleistungen enthalten. Jedenfalls hat der Sachverständigenrat für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, als er sich mit dem sogenannten Basareffekt befasste, ermittelt, dass im seinerzeit untersuchten Zeitraum 1991 bis 2000 der Rückgang der Erwerbstätigen in der exportabhängigen Industrie deutlich geringer war als im verarbeitenden Gewerbe insgesamt. 12
Versteht man unter dem Basareffekt die Tendenz eines steigenden Vorleistungsanteils in der Exportproduktion, so ist dieser eine zwingende Wirkung zunehmender Globalisierung, bei der die kostenorientierte Zergliederung von Produktionsprozessen vorangetrieben und immer attraktiver wird, was sich natürlich genauso bei den Importprodukten auswirkt. Ein so verstandener Basareffekt kostet nicht notwendigerweise Arbeitsplätze. Anders ist es, wenn bei wachsendem Vorleistungsanteil der Exporte die Importneigung überproportional wächst, dann kann es über den Strukturwandel hinaus zu Erscheinungen der Deindustrialisierung kommen, die im Ergebnis bedeuten, dass ein Land ein dauerhaftes Handelsbilanzdefizit in der Warenproduktion aufweist. Das führt zu Schwierigkeiten, wenn es nicht einen entsprechend hohen Leistungsbilanzüberschuss bei Dienstleistungen oder anderweitige Transfers gibt, etwa aus Vermögenseinkünften oder Überweisungen von Gastarbeitern.
Aus meiner Sicht ist jedenfalls eine Frage historisch noch offen: Wird es den alten Industriestaaten in den nächsten Jahrzehnten trotz der stürmischen Industrialisierung Asiens und des weltweiten Auftauchens immer neuer Niedriglohnstandorte gelingen, soviel eigene Industrie zu bewahren, dass sie im internationalen Austausch mithalten und gleichzeitig genügend Arbeitsplätze für jene anbieten können, die im Wortsinne von ihrer Hände Arbeit leben müssen, von Arbeit, die sie in der Industrie beziehungsweise in produktionsnahen
Dienstleistungsbereichen finden? Deutschland scheint in dieser Frage zumindest besser positioniert als viele andere alte Industriestaaten.
Die Verlagerung der Arbeitsnachfrage von den Gütern zu den Diensten
Die relativen Preise von Waren aller Art werden weiter sinken (es sei denn, ihr Rohstoffgehalt treibt den Preis wie bei Goldschmuck oder Benzin), weil die Globalisierung und die Entwicklung technischer Neuerungen weiter voranschreiten werden, und ebenso werden die relativen Preise jener Dienstleistungen sinken, die automatisierbar (etwa standardisierte Bankdienstleistungen) oder regional nicht gebunden sind und deshalb an Niedriglohnstandorte verlegt werden können (Arbeit im Callcenter zum Beispiel). Entsprechend muss von der gesamtwirtschaftlichen Arbeitsmenge ein immer geringerer Teil für die Warenproduktion und automatisierbare Dienstleistungen aufgebracht werden.
Es ist deshalb folgerichtig, aber auch arbeitsmarktpolitisch geboten, dass ein immer größerer Teil der Arbeitsnachfrage auf persönliche Dienstleistungen entfällt, die nicht maschinell substituierbar sind. Bei vielen einfachen Dienstleistungen ist dies eine Preisfrage. Das gilt beispielsweise für häusliche Dienste oder Qualität und Service im Einzelhandel. Viele andere Dienste - und zwar gerade die qualifizierten mit wachsender Nachfrage - werden in Deutschland aber überwiegend als öffentliche Güter bereitgestellt, das heißt, sie werden ganz oder überwiegend über Steuern und Sozialabgaben finanziert. Das gilt insbesondere für Bildung, Gesundheit und Altenpflege, die man als die eigentlichen Wachstumsbereiche der Zukunft bezeichnen kann. Diese Dienste der Zukunft bedürfen entweder einer relativ hohen Qualifikation (Bildung, Gesundheit) oder stabiler Persönlichkeitsstrukturen (Altenpflege), sie sind also gerade für die sogenannten Problemgruppen am Arbeitsmarkt, die durch niedrige Qualifikation und/oder Persönlichkeitsdefizite gekennzeichnet sind, wenig geeignet.
Wenn es richtig ist, dass sich die Nachfrage
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