Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
Qualifikationen derjenigen an Wert, die sich mit der Zeit notgedrungen oder freiwillig in der Dauerarbeitslosigkeit einrichten, ohne dem Arbeitsleben vergleichbare Anforderungen zu erfüllen. Noch schlechter steht es um die Qualifikation derjenigen, die nie die Gelegenheit oder den Willen hatten, im Arbeitsleben wirklich Fuß zu fassen.
Das garantierte Grundeinkommen in Höhe von 60 Prozent des mittleren Einkommens greift also von zwei Seiten tief in die Organisation des Arbeitsmarktes ein:
• Rational denkende Anbieter von Arbeitskraft verweigern als Bezieher von Grundeinkommen jedwede Arbeit, deren Entgelt nicht einen Mindestabstand vom Grundeinkommen hält, also bei etwa 70 Prozent des mittleren Einkommens liegt.
• Rational denkende Anbieter von Arbeitsplätzen bieten keine Arbeitsplätze an, die beim impliziten Mindestlohn unrentabel sind.
Beides führt dazu, dass ein großer Teil der Menschen am unteren Ende des Erwerbspersonenpotentials quasi administrativ in die Untätigkeit gedrängt wird.
Politische Einflussnahme auf den Arbeitsmarkt
Arbeit als Mittel der Sozialisation
Theoretisch wird die Grundsicherung für Arbeitslose nur dann gezahlt, wenn Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme besteht. Praktisch kann die Arbeitsbereitschaft im deutschen Rechtsmittelstaat aber kaum überprüft und ihr Fehlen hinreichend rechtsfest bewiesen und sanktioniert werden. Wer lieber Grundsicherung für Arbeitslose beziehen will statt zu arbeiten, findet immer Wege, dies auch zu tun. 14
In der Bibel heißt es: »Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen« (Psalm 90, 10). Und Aristoteles schrieb: »Das menschliche Gut ist der Tugend gemäße Tätigkeit der Seele, und gibt es mehrere Tugenden: der besten und
vollkommensten Tugend gemäße Tätigkeit.« 15 So hoch gestimmt kann es nicht immer und überall zugehen, schon gar nicht bei einfachen Tätigkeiten. Die tägliche Fron kann verdammt geistlos und quälend sein. Die Zitate zeigen aber, dass man nicht aus der puritanischen Arbeitsethik kommen muss, um die zentrale Rolle der Arbeit für das menschliche Leben - und ja, auch für das menschliche Glück - zu würdigen.
Nähert man sich dem Thema von der linken Ecke, etwa mit dem Blickwinkel der Frankfurter Schule, dann geht es um den sozialen Zusammenhang, in dem als »Ergebnis einer kooperativen Beziehung... die Selbstverwirklichung eines jeden von der reziproken Wertschätzung aller anderen abhängig« gemacht wird. 16 Das ist exakt das, was dem Hartz-IV-Empfänger fehlt, weil er in den dazu notwendigen Leistungsaustausch nicht eingebunden ist. Die darin liegende implizite Demütigung kann auch durch höhere Einkommensersatzleistungen nicht ausgeglichen werden. Umgekehrt gilt aber: Je höher die Einkommensersatzleistungen sind, umso mehr Menschen werden in den Demütigungskreislauf einbezogen.
Aus der Glücksforschung wissen wir, dass der Mensch dazu neigt, die Glück stiftende Wirkung materieller Güter wie auch des passiven Komforts zu überschätzen und die Glück stiftende Wirkung sozialen Austauschs oder produktiver Tätigkeit zu unterschätzen. Er neigt also dazu, das Haben über das Sein zu stellen. Dabei erwächst das Glück, das die materiellen Güter jenseits des absoluten Mangels spenden, weniger aus dem absoluten Versorgungsniveau als aus der durch den Versorgungsgrad ausgedrückten Rangposition gegenüber anderen.
Gerade für schlichtere Menschen ohne ausgeprägten Ehrgeiz oder besondere Fähigkeiten lauert hier eine Falle: Da sie keine Hoffnung hegen, durch bezahlte Arbeit ihre materielle Situation wesentlich zu verbessern, und nicht in der Lage sind zu erfassen, welche immateriellen Segnungen die Arbeit bereithält, nämlich Stolz, Anerkennung, sozialen Austausch, verzichten sie auf die Teilnahme am Arbeitsleben oder lassen nur geringe Anstrengung erkennen bei ihren Bemühungen um Teilnahme. Und damit sitzen sie in der Falle.
Diese wird durch die de facto bedingungslose Grundsicherung komfortabel ausgepolstert, aber das Bedürfnis nach einem Rang in der Gesellschaft bleibt ungestillt. Hier liegt die Ursache für die permanent schlechte Laune und nagende Unzufriedenheit, die über dem gesamten Transferbereich liegt.
Das Reich der Arbeit ist das Reich der Sekundärtugenden: Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Genauigkeit, Ordnungsliebe, Frustrationstoleranz, Ein- und Unterordnung. Ohne diese
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