Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
Eigenschaften funktioniert kein arbeitsteiliger Wertschöpfungsprozess, ja nicht einmal eine effizient arbeitende Putzkolonne. Die Geschichte zeigt, dass der Wohlstand der Nationen in hohem Maße davon abhängt, ob in der Bevölkerung diese Sekundärtugenden vertreten sind und wie sie gefördert, belohnt und weiterentwickelt werden. Thomas Alva Edisons Diktum, Genie sei ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration, macht anschaulich, dass die Sekundärtugenden für jede Art von nachhaltiger Leistung, gerade auch der kreativen Leistung, unerlässlich sind.
In der anonymisierten Massengesellschaft ist die Bedeutung der Arbeit für die Sozialisation noch größer, als sie je war. In den steinzeitlichen Horden der Jäger und Sammler, in den abgelegenen Dorfgemeinschaften des frühen 20. Jahrhunderts und bis heute überall dort, wo die industrielle Moderne noch nicht eingezogen ist, waren und sind die sozialen Beziehungen von der Tradition bestimmt und überschaubar, aber auch wenig gestaltbar. Dem Menschen wird mit der Geburt ein Platz in der Gesellschaft zugewiesen, und diesen behält er in der Regel bis zu seinem Tod. Arbeit zu haben oder eben nicht, ist in solchen Zusammenhängen - wie das gesamte Leben überhaupt - ein kollektives Schicksal.
Das hat sich geändert. Wer heute in den aktiven Jahrzehnten von Mitte zwanzig bis Mitte sechzig nicht in die Arbeitsgesellschaft eingegliedert ist - und sei es über die Familie -, der steht außerhalb des realen Lebenszusammenhangs und fühlt sich auch so. Dies ist keine Frage des Geldes: Boris Becker wurde zur traurigen öffentlichen Gestalt, als er die Rolle des Tennis-Champions verlor und keine andere fand. Das gleiche traurige Los teilen die funktionslosen Millionenerben
und Nachfahren von Herrscherhäusern. Wehe ihnen, wenn sie keine bürgerliche Rolle finden, dann sind sie unglückliche Außenseiter, mögen sie auch in jeder zweiten Ausgabe des Neuen Blattes abgebildet sein.
Bildung und Mindestqualifikation
Ein großer Teil derer, die sich nicht dauerhaft am Arbeitsmarkt etablieren können (oder wollen), ist bereits im System der Bildung und Ausbildung gescheitert, und zwar aus ganz ähnlichen Gründen. Neben einem gewissen intellektuellen Potential sind nämlich die bereits aufgezählten Sekundärtugenden unbedingt vonnöten, wenn man eine Schulkarriere mit Erfolg abschließen will. Wer den Haupt- oder Realschulabschluss nicht schafft, scheitert ja nicht an der Matritzenrechnung, sondern am einfachen Dreisatz oder bestenfalls an den ungleichnamigen Brüchen. Und wer eine Lehre abbricht, dem mangelt es nicht selten an Pünktlichkeit und Sorgfalt sowie an der Fähigkeit, eine stabile Arbeitsleistung zu erbringen; nur selten stolpert er über die intellektuellen Voraussetzungen.
Was in einer durchschnittlich bis zum 18. Lebensjahr laufenden Schullaufbahn versäumt wurde, kann im Arbeitsleben kaum noch aufgeholt werden (vgl. dazu Kapitel 6). Der ehemalige Arbeitsminister Scholz hat das beispielsweise im Sommer 2009 bitter beklagt:
»Jedes Jahr verschwinden Tausende von Jugendlichen nach der Schule von unserem Radarschirm. Manche brechen ihre Ausbildung ab und leben von irgendwelchen Gelegenheitsjobs. Andere absolvieren eine Bildungsmaßnahme, tauchen aber in keiner Statistik auf, und wir wissen nichts über sie... Es nutzt doch nichts, wenn Jugendliche mit 16 Jahren die Schule verlassen, und wir sehen sie dann mit 22 Jahren ohne Ausbildung in einem Jobcenter wieder. Der Start ins Berufsleben ist die zentrale Station auf dem Lebensweg. Da dürfen wir niemanden allein lassen... Eineinhalb Millionen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren sind ohne Berufsausbildung, 15 Prozent dieser Altersklasse bleiben ohne Berufsabschluss... Wir müssen handeln. Schnell.«
Scholz forderte im Weiteren Verbesserungen in den Schulen und in der Berufsausbildung. Nur eines verschwieg er, nämlich dass derjenige, der nicht viel Ehrgeiz hat, sich all diese Strapazen ersparen kann, weil er ja die Grundsicherung bekommt. Die politisch Verantwortlichen haben ganz offensichtlich nicht einkalkuliert, dass eine wachsende Gruppe von Menschen, gerade auch von jungen Menschen, ein Leben auf Hartz-IV-Niveau zum Ausgangspunkt ihrer Lebensplanung machen könnte und gar keine Veranlassung sieht, Ehrgeiz und Anstrengungsbereitschaft zu entwickeln.
Den naheliegenden Gedanken, den Jugendlichen ein Leben auf Hartz-IV-Niveau zu verweigern, verwarf der Arbeitsminister: Er habe »keine Sanktionen im
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