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Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen

Titel: Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Sarrazin
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dazu:
    »Viele Bedarfsgemeinschaften bleiben dauerhaft auf die Grundsicherung angewiesen. Es gibt einen beträchtlichen Kern an teils verfestigtem Langzeitbezug, teils an wiederholter Bedürftigkeit mit langen Bezugszeiten... Der Langzeitbezug prägt den Bestand und damit die Ausgaben für die Grundsicherung... Etwa 18 Prozent der potentiell anspruchsberechtigten Bevölkerung haben bisher die Leistungen zumindest zeitweilig in Anspruch nehmen können und müssen. Das System wirkt weit über Langzeitarbeitslose hinaus und bildet eine Grundsicherung nicht nur für Arbeitssuchende, sondern für einen großen Teil der Bevölkerung im Erwerbsalter und für ihre Kinder. Zurzeit sieht es so aus, dass die Grundsicherung überwiegend von Bedarfsgemeinschaften geprägt wird, die über längere Zeit durchgehend oder wiederholt bedürftig sind. Damit zeichnet sich unter den Leistungsbeziehern eine Gruppe von Haushalten ab, die trotz aller Aktivierungsbemühungen über längere Zeiträume auf die sozialpolitische Funktion der Einkommenssicherung des SGB II angewiesen sind.« 22

    Wenn die staatlichen Forscher zurückhaltend formulieren »über längere Zeiträume«, dann kann man das getrost übersetzen mit »lebenslang«: Millionen grundsätzlich arbeitsfähige Menschen von 30, 40 und 50 Jahren werden dem Staat noch für weitere 30 bis 50 Jahre auf der Tasche liegen, während ihre Fähigkeiten mehr und mehr verkümmern und ihre Sozialisation sich in die falsche Richtung entwickelt. Sie werden Kinder bekommen, und zwar deutlich mehr als der Durchschnitt der Bevölkerung, sie werden ihre Lebenseinstellung an diese weitergeben und diese damit zu Hartz-IV-Empfängern der Zukunft heranziehen.
    Es scheint, dass der gewaltige Transferapparat nicht zu stoppen ist. Gutmenschen ringen die Hände, und staatliche Sachbearbeiter schreiben stoisch ihre Bescheide. Es wird noch ein Aktivierungsprogramm und noch ein Aktivierungsprogramm aufgelegt. In Berlin gibt der Senat mittlerweile für 7000 Stellen auf dem sogenannten Zweiten Arbeitsmarkt die absurde Summe von jährlich 170 Millionen Euro aus, 23 was bei 600 000 Menschen, die allein in Berlin von Grundsicherung leben, sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist - abgesehen davon, dass der Zweite Arbeitsmarkt eine teure Sackgasse ohne Perspektive ist.
    Was könnte man ändern? Grundsätzlich gibt es drei Wege:
    1. . Man senkt das Niveau der Grundsicherung, um mehr Anreize zur Arbeitsaufnahme zu schaffen.
    2. . Man schafft mehr Anreize zur Arbeitsaufnahme durch veränderte Anrechnungsvorschriften.
    3. . Erwerbsfähige Menschen unter der gesetzlichen Altersgrenze erhalten Leistungen der Grundsicherung nur noch gegen eine verpflichtende Gegenleistung.
    Kontraproduktiv sind alle Bestrebungen, das relative Niveau der Grundsicherung anzuheben, denn davon würden noch weniger Arbeitsanreize ausgehen; die Zahl der sogenannten Aufstocker, also der Menschen, die neben der Arbeit ergänzende Leistungen der Grundsicherung beziehen, würde stark zunehmen; das Lohnabstandsproblem würde sich generell verschärfen. 24

     
    Anreize zur Arbeitsaufnahme
    (1) ABSENKUNG DES REGELSATZES FÜR ERWERBSFÄHIGE
    Der fraglos größte Anreiz zur Arbeitsaufnahme läge in einer Absenkung der Grundsicherung. 25 Das wird durch nationale und internationale Untersuchungen empirisch belegt. In den USA ist man diesen Weg mit großer und in Großbritannien immerhin mit einer gewissen Konsequenz gegangen, indem man ein niedriges sowie zeitlich begrenztes Grundsicherungsniveau mit Anreizen zur Arbeitsaufnahme kombiniert hat. Das brachte erhebliche Erfolge, wobei die Transferabsenkung allerdings weitaus wirkungsvoller war als die Verbesserung der Anreize zur Arbeitsaufnahme. 26
    In Kontinentaleuropa sind solche Ansätze weitgehend steckengeblieben, weil sie dem Bestreben entgegenstehen, jedem Menschen unabhängig von seinen Leistungen und eigenen Bemühungen zumindest das sozioökonomische Existenzminimum zu sichern. Für den Arbeitsmarkt sind die Probleme umso größer, je höher die Schwelle der Grundsicherung angesetzt wird.
    Der Sachverständigenrat hat 2006 in seinem Vorschlag für ein Kombilohnmodell die Absenkung des Arbeitslosgeldes II für erwerbsfähige Hilfeempfänger um 30 Prozent vorgeschlagen und dazu auch eine Überprüfung in verfassungsrechtlicher Hinsicht veranlasst. 27 Im Übrigen hat er in der Untersuchung der deutschen Kombilohnmodelle und ihrer Misserfolge sehr schön herausgearbeitet, dass ein

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