Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
wäre das System wirklich logisch.
Im Sinne eines konsistenten Anreizes zur Arbeitsaufnahme wäre dies ein gutes System, aber ein sehr teures, weil man ja den »normalen« Arbeitnehmer gleichbehandeln müsste. Für viele entstünde ein Anreiz, ihre Erwerbstätigkeit zu reduzieren, weil der Kombilohn lockt. 31 Während jemand mit 1200 Euro brutto im Monat dann keine Grundsicherung mehr bekäme, aber eben auch keine Abgabenbelastung hätte, beträgt die Durchschnittsbelastung eines Arbeitnehmers mit 1200 Euro Bruttolohn heute (2010) bereits 44 Euro Lohnsteuer und 252 Euro Sozialversicherung, zusammen 296 Euro.
Alle Kombilohnmodelle, alle Modelle eines anrechenbaren Grundeinkommens, alle Modelle, die auf einer negativen Einkommensteuer beruhen, haben das Problem, dass die Einkommen bis zu dem Niveau, bei dem der stufenweise Abbau der Transfers abgeschlossen ist, abgabenfrei bleiben müssen. Auch danach sollte die Grenzbelastung 50 Prozent nicht übersteigen. Das führt insbesondere bei der Sozialversicherung zu gigantischen Ausfällen, denn deren Einnahmen werden überwiegend durch die niedrigen und mittleren Einkommen erwirtschaftet. 32
Das Anrechnungsproblem entschärft sich zwar in dem Umfang, in dem die Einkommensersatzleistungen für die erwerbsfähigen Transferbezieher abgesenkt werden, dann gerät man allerdings schnell in Konflikt mit dem Grundsatz, dass jedem das sozioökonomische Existenzminimum zusteht.
Lohnabstandsgebot und Mindestlohn
Die empirischen Forschungen zu gesetzlichen Mindestlöhnen sind extensiv. Sie kommen weit überwiegend zu dem Ergebnis, dass gesetzliche Mindestlöhne, wenn sie sehr niedrig sind, keinen Einfluss auf die Lohnstruktur haben und dann auch nicht der Beschäftigung schaden. Sind sie so hoch, dass sie Einfluss auf die Lohnstruktur nehmen, schränken sie die Beschäftigungsmöglichkeiten ein. 33 Der Sachverständigenrat weist zu Recht darauf hin, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bei den Langzeitarbeitslosen und wenig Qualifizierten eine weitere Aufspreizung der Lohnstruktur erfordert und dass Mindestlöhne, die dies verhindern sollen, dem Ziel, für die Empfänger von Grundsicherung mehr Arbeit zu schaffen, entgegenwirken. 34
Selbst eine niedrige marktgerechte Entlohnung für einen Vollzeitarbeitnehmer müsste einen Nettolohn erbringen, der einen ausreichend hohen Abstand vom Nettoeinkommen der Grundsicherung hat. Bei einer Grundsicherung von etwa 60 Prozent des mittleren Einkommens ist das nicht der Fall. Deshalb bleibt das Anrechnungsmodell aktuell. Es kann aber nicht darauf hinauslaufen, dass ein Transferempfänger am Ende durch die nur teilweise Anrechnung
von Lohneinkommen mehr hätte als ein Lohnbezieher, der nicht gleichzeitig Transferempfänger ist.
Es hat sich noch nicht überall herumgesprochen, dass die Befürchtung, jemand könne durch einen niedrigen Lohn in Armut geraten, seit den Hartz-IV-Reformen und der Einführung der flächendeckenden Grundsicherung unbegründet ist. Wenn das Arbeitseinkommen nicht reicht, bekommt der sogenannte Aufstocker ergänzende Grundsicherung, die ihn in jedem Falle über die Armutsgefährdungsgrenze hebt. 35 Der durch die Reformen ausgelöste erhebliche Beschäftigungszuwachs tritt hinzu. Während das System der Grundsicherung einerseits für den, der keine Arbeit hat, immer noch zu wenig Anreize bietet, sich bezahlte Arbeit zu suchen, stockt es andererseits die Einkommen derer, die zu Niedriglöhnen arbeiten, recht großzügig auf.
Das Problem bleibt der unzureichende Anreiz für jene, die keine Arbeit haben und Grundsicherung beziehen, sich bezahlte Arbeit am ersten Arbeitsmarkt zu suchen. Denkt man intensiver über dieses Problem nach, dann erkennt man, dass es so gut wie unlösbar ist, solange man die Grundsicherung für erwerbfähige Transferbezieher nicht absenkt. Deshalb muss man andere Lösungen finden.
Das Workfare-Konzept
Nach dem Empfinden der meisten Menschen sollte jemand, der Leistungen der Allgemeinheit in Anspruch nimmt, das ihm Mögliche tun, eine Gegenleistung zu erbringen. Dies lässt sich sogar im Sozialexperiment belegen. 36 In den USA wurde darüber unter dem Slogan from welfare to work diskutiert, daher die Kurzform workfare. Die Diskussion setzte in den siebziger Jahren ein, als der Earned Income Tax Credit (EITC) eingeführt wurde, und lag den Reformen des Arbeitsmarktes und der Sozialhilfe unter Präsident Clinton zugrunde, mit denen einerseits der Bezug von Sozialhilfe beschränkt und
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