Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
funktionsfähiges und bezahlbares Modell gar nicht konstruierbar ist, solange man für die erwerbsfähigen Grundsicherungsempfänger am Anspruch auf Grundsicherung ohne Einforderung von Gegenleistungen festhält. 28
Die Forderung des Sachverständigenrats nach Absenkung des Regelsatzes der Grundsicherung für erwerbsfähige Empfänger stieß auf so intensive und weitverbreitete Ablehnung, dass sein Kombilohnmodell nicht die Aufmerksamkeit bekam, die es verdient hätte. Dabei gingen die Sachverständigen längst nicht so weit wie das Ifo-Institut mit der »Aktivierenden Sozialhilfe«. Dieser Vorschlag läuft darauf hinaus, den erwerbsfähigen Empfängern von Grundsicherung diese bis auf die Kosten der Unterkunft ganz zu streichen, für Erwerbsarbeit
die Anrechnungsmöglichkeiten deutlich attraktiver zu gestalten und für alle erwerbsfähigen Bezieher von Grundsicherung, die am freien Markt nichts finden, verbindliche Beschäftigungsangebote im kommunalen Bereich zu schaffen. 29 Die Schwäche dieses Modells liegt darin, dass die unterstellte völlige Streichung des Arbeitslosengeldes II für offenbar arbeitsunwillige Erwerbsfähige weit jenseits dessen liegt, was der politische Mainstream billigen würde, und ferner darin, dass die Schaffung ausreichender Arbeitsplätze nur mit Rückgriff auf die Kommunen möglich ist. Das Modell der »Aktivierenden Sozialhilfe« ist so, wie es vorgelegt wurde, utopisch und undurchführbar, aber es ist in seiner konsequenten Radikalität von einer Frische, die sympathisch berührt.
Man muss die Frage erörtern, ob es wirklich richtig sein kann, jedem ohne Gegenleistung ein Grundeinkommen in Höhe von 60 Prozent des mittleren Einkommens zu garantieren. Und warum sollen die arbeitsfähigen Menschen in Bedarfsgemeinschaften nicht einen deutlicheren Anreiz verspüren, sich aktiv um Arbeit zu bemühen? Von der Absenkung bliebe ja die Höhe der Grundsicherung für nicht erwerbsfähige Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften unberührt. Allerdings werfen auch deren Grundsicherungsleistungen Probleme auf, die dringend gelöst werden müssen: Niemand möchte, dass Kinder Mangel leiden, aber es müssen die Fehlanreize beseitigt werden, die darin liegen, dass die Leistungen der Grundsicherung für Kinder den Lebensstandard der Eltern subventionieren können, statt den Kindern zugute zu kommen. Da bietet es sich an, die Geldleistungen für Kinder zu minimieren und die staatlichen Ressourcen lieber in Ganztagsbetreuung, in das staatliche Bildungssystem und in Schulspeisungen zu stecken.
Der Vorschlag des Sachverständigenrats berührt ausschließlich den Regelsatz für Erwerbsfähige, er berührt nicht den Regelsatz der übrigen Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft und auch nicht die Kosten der Unterkunft. Es besteht also keinerlei Gefahr, dass durch die dreißigprozentige Absenkung des Regelsatzes für erwerbsfähige Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft die Bedarfsgemeinschaft als solche in Not gerät.
(2) MEHR MATERIELLER ANREIZ
Die Aufnahme auch einer einfachen Tätigkeit muss sich stärker lohnen. Das ist gegenwärtig nicht der Fall: Wie die Tabelle 5.2 (Seite 159) zeigt, verbleiben einem Hartz-IV-Empfänger aufgrund der Anrechnungsvorschriften bei einem Stundenlohn von 5 Euro netto noch 1,68 Euro. Anders ausgedrückt: Bei 5 Euro ist die Grenzbelastung 66 Prozent, bei 7,50 Euro ist sie 74 Prozent, bei 10 Euro liegt sie bei 70 Prozent (alleinstehend) beziehungsweise 80 Prozent (verheiratet, zwei Kinder). Dass dies der Schwarzarbeit Vorschub leistet und den Leistungswillen in einer generell wenig leistungsbereiten Gruppe zusätzlich mindert, liegt auf der Hand.
Die Lösung böte ein Modell, das die Amerikaner negative income tax genannt haben und das bei uns seit Jahren diskutiert wird. Es wäre recht einfach zu installieren: De facto ist jeder Arbeitnehmer daran gewöhnt, dass die Grenzbelastung seines Einkommens - Lohnsteuer und Sozialversicherung zusammengerechnet - schon bei 1000 Euro Monatslohn 40 Prozent beträgt und bei 1500 Euro Monatslohn 50 Prozent erreicht. 30 Ein Transferbezieher, der eine Arbeit aufnimmt, sollte über alle Einkommensstufen hinweg bis die Verrechnung mit den Transferleistungen abgeschlossen ist, 50 Prozent seines Arbeitslohns behalten können. Erst nach dieser Anrechnungsgrenze würde das normale Sozialabgaben- und Steuerrecht einsetzen. Allerdings sollte der Übergang so gestaltet sein, dass an der Grenzbelastung von 50 Prozent festgehalten wird, nur dann
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