Deutschland schafft sich ab - Wie wir unser Land aufs Spiel setzen
zeitlich begrenzt wurde, andererseits die Anreize zur Arbeitsaufnahme erhöht wurden. 37
Es kann nicht ungerecht sein, alle erwerbsfähigen Empfänger von Grundsicherung zu einer Gegenleistung zu verpflichten. Dabei kann
zunächst dahingestellt bleiben, wie produktiv diese Gegenleistung ist und ob sie überhaupt produktiv ist. Entscheidend ist, dass sie ausnahmslos eingefordert wird und die Anforderungen in Bezug auf Pünktlichkeit, Disziplin und Arbeitsbereitschaft dem regulären Arbeitsleben möglichst nahe kommen. Wer seinen Pflichten gar nicht nachkommt oder nur unpünktlich und unzuverlässig, dem würde die Grundsicherung gekürzt oder gestrichen. Dies müsste allerdings konsequent und schnell und nach sehr strengen Maßstäben erfolgen.
Ein solches Modell würde vielerlei gewünschte Wirkungen erzeugen. Es würde zum Beipiel erheblicher Anreiz zur Aufnahme bezahlter, regulärer Arbeit schaffen. Wenn nämlich das »Arbeitsleid«, insbesondere die Disziplinanforderung als Voraussetzung für den Transferbezug, den Anforderungen des regulären Arbeitsmarkts näher kommt, dann wird es attraktiv, sich dort um Arbeit zu bemühen, weil selbst eine Niedriglohnbeschäftigung in Kombination mit dem Transfersystem mehr Geld einbringt als die reine Grundsicherung (siehe Tabelle 5.2 , Seite 159). Der Hang zum verhängnisvollen Nichtstun, das die Fähigkeiten verkümmern lässt, würde deutlich vermindert.
Ferner würde die Schwarzarbeit durch die Arbeitspflicht erschwert beziehungsweise schon rein zeitlich unmöglich gemacht. Wer Schwarzarbeit dem Transferbezug vorzieht, würde als Leistungsempfänger gestrichen, und das hieße auch, dass er den Anspruch auf die dem Transferempfänger zustehende gesetzliche Krankenversicherung verwirkt. Für Schwarzarbeiter würde es dann ebenfalls attraktiver, sich um eine reguläre Tätigkeit zu bemühen. Der Arbeitszwang würde allmählich große Teile des informellen Arbeitsmarktes austrocknen und so die kaufkräftige Nachfrage am regulären Markt erhöhen, denn für alle Dienste, die bis dahin informell erbracht wurden, bestünde ja weiterhin grundsätzlich eine kaufkräftige Nachfrage, die dann anders befriedigt werden müsste.
All diese wohltätigen Wirkungen werden jedoch nur eintreten, wenn der Arbeitszwang konsequent durchgesetzt wird, wobei die wirksamste Sanktion stets der sofortige Transferentzug ist. Schätzungen für Deutschland gehen davon aus, dass ein konsequentes Workfare-Konzept
am regulären Arbeitsmarkt bis zu 1,9 Millionen Arbeitsplätze schaffen würde und dass dauerhaft für nicht marktfähige, aber erwerbsfähige Empfänger von Grundsicherung 500 000 Arbeitsgelegenheiten bereitgestellt werden müssten. 38 Solche Schätzungen sind naturgemäß mit Unsicherheiten behaftet, weshalb ihre Aussagekraft nicht überbewertet werden sollte. Völlig unbestreitbar und durch alle verfügbaren empirischen Erkenntnisse belegt ist dagegen, dass ein effektiv durchgesetzter und mit Transferentzug sanktionierter Arbeitszwang die Zahl derer, die Leistungen beanspruchen, umgehend senkt, und zwar erheblich.
Zudem ist die Durchsetzung dessen, was der Amerikaner noncouching nennt, entscheidend für die Aktivierungsfähigkeit der Menschen. Bereits kurze Zeiten der Passivierung führen zu negativen Folgen für die gesamthaften Fähigkeiten der Lebensbewältigung. In der amerikanischen Sozialreform von 1996 war die Gesamtbezugszeit von Sozialhilfe zeitlich befristet und zugleich die Voraussetzung für den Bezug verschärft worden. Das Programm zielte darauf, vor allem alleinerziehende Mütter in Arbeit zu bringen. Die befürchteten Folgen für deren Kinder stellten sich nicht ein, im Gegenteil: Es zeigte sich, dass sich die Kinder der Mütter, die durch eine Kombination aus Druck und Unterstützung in Arbeit gebracht worden waren, besser entwickelten. 39
So unterschiedliche Städte wie Rotterdam 40 und New York 41 haben auf jeweils eigene Weise vorgeführt, welche Möglichkeiten in einem intelligent angewandten Workfare-Konzept liegen. Man muss es nur wollen und konkrete Lösungen für konkrete Menschen schaffen. Das funktioniert am besten vor Ort. In Deutschland bedürfte es allerdings des radikalen Umdenkens, um in einer Stadt wie Berlin oder Bremen eine Arbeitsmarktpolitik ähnlich der in Rotterdam oder New York zu verwirklichen.
Wie auch immer man sich entscheidet: Es wird sehr schwierig werden, für die erwerbsfähigen Empfänger von Grundsicherung eine ausreichende Zahl von
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