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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Naturpark, das paßt so haargenau, daß ich am liebsten gleich Reißaus genommen hätte. Aber mein Fuß will jetzt nicht mehr, und außerdem brauchen wir Wasser. Mit einem herumliegenden Gartenschlauch lassen wir uns beide vollaufen. Feldmann säuft aus meiner rechten hohlen Hand, ich aus meiner linken.
    Mit gefüllter Feldflasche geht es humpelnd weiter. Es wird Abend, bis wir die Lüneburger Heide endlich hinter uns haben. Ich bin hundemüde, der rechte Fuß streikt. Zeit, sich nach einem Nachtquartier umzusehen. Ein kleines Wäldchen hinter einer Wiese bietet sich an. Feldmann kriecht unter den Zäunen durch, ich klettere mühsam drüber weg. An einem Hochstand ein ebener, nadelbedeckter Fleck. Niedergeschlagen bereite ich unser Lager. Kein guter Tag heute, zu viele Menschen, zertrampelte Natur. Und dann meine Ferse. Ich habe sie mir blutig gelaufen, der Socken klebt am rohen Fleisch. Wie soll es überhaupt weitergehen, wenn ich schon am zweiten Tag Invalide bin? Ich besitze nur diesen rechten Fuß, ich Fußgänger, ich brauche ihn so dringend wie der Vogel seinen rechten Flügel, wie der Fisch seine rechte Flosse, wie der Maulwurf seine rechte Schaufel. Ersatzteile gibt es keine, nur mein Heftpflaster als Flickzeug. Beim Abendessen gleich die nächste Katastrophe. Da zeigt sich, daß unser Proviant schneller zur Neige geht als vorgesehen. Ich teile mir mit meinem Begleiter das letzte Brot, das letzte Stück Käse. Heringe in Dillsoße frißt der Hund nicht, dafür die Dauerwurst um so lieber. Aber satt werden wir beide nicht heute abend — und was wird morgen? Soll ich betteln gehen? Arbeiten? Klauen? Meine Gedanken eilen zurück nach Hamburg, wo Freda jetzt sicher mit ein paar Freunden beim Italiener sitzt und sich Kalbszunge in Knoblauchsoße schmecken läßt. Lange liege ich wach.
    Mitten in der Nacht schreckt mich plötzlich ein furchtbares Geräusch auf. Es hört sich an, als ob ein Mensch zu Tode gewürgt wird. Im Licht meines Streichholzes sehe ich, wie mein Hund mit heruntergezogenen Lefzen, die Augen verdreht, sein ganzes Abendbrot wieder herauskotzt. In meinen Armen versuche ich, das zitternde Tier zu beruhigen, aber nach wenigen Minuten schon folgt der zweite Brechanfall, dann der dritte und vierte. Statt Speisereste spuckt und hustet Feldmann nur noch einen hellen Schleim. Genaues läßt sich in der Dunkelheit nicht erkennen. Kein Streicheln kann ihn zur Ruhe bringen, auch keine guten Worte. Ich bin verzweifelt. Den ganzen Tag ist er quicklebendig vor meinen Beinen hergetrabt, die Hitze und die Wochenendler störten ihn wenig, und nun liegt er wie in seinen letzten Zuckungen. Was fehlt dem Tier? Bekommt ihm sein neues Leben nicht, war die Umstellung zu abrupt, oder hat er etwas Vergiftetes gefressen? Plötzlich fällt mir die eher beiläufige Bemerkung der Tierpflegerin aus dem Hamburger Asyl ein; sie hatte von einem Virus gesprochen, der bei dem einen oder anderen Heimhund festgestellt worden ist. »Zwingerhusten« nannte sie die Krankheit, »dagegen kann man wenig machen .« Ein paar Tiere sind schon daran eingegangen.
    Je häufiger und heftiger mein Feldmann von dem würgenden Keuchen geschüttelt wird, desto sicherer bin ich, daß er diesen Zwingerhusten hat, und niemand kann uns hier helfen, allein im nächtlichen Wald, irgendwo zwei Tagesmärsche südlich von Hamburg.
    Während ich Feldmann den klebrig-brockigen Schleim vom Maul wische, steigt es würgend in mir hoch. Nur mühsam überwinde ich meinen Ekel, streichle das Tier pausenlos, rede ihm weiter gut zu und hoffe, daß diese mondlose Nacht schnell vorübergeht. Mein Hund, der mir Schutz geben sollte vor den Gefahren am Wege — jetzt bin ich sein Beschützer und fühle mich doch so hilflos wie er.
    Hätte ich wenigstens eine Uhr, damit ich wüßte, wieviel Zeit uns noch vom Morgen trennt. Das lange Warten zehrt an den Nerven. Feldmanns Anfälle scheinen etwas schwächer zu werden, sein Atem ruhiger, aber ich weiß nicht, ob er nun stirbt oder sich erholt. Unermüdlich streichle ich den warmen Hundekörper. Endlich meldet ein erster, kurzer Vogelgesang den heraufziehenden Tag. Die Sterne verblassen. Mit der Morgendämmerung weicht die Spannung von mir, und ich versinke in einen bleiernen Schlaf.
    Als ich erwache, liegt Feldmann wie eine Locke zusammengerollt, mit geschlossenen Augen und ruhigem Atem neben mir. Wäre da nicht das Erbrochene auf meinem Schlafsack, ich hätte geglaubt, diese furchtbare Nacht sei nur ein Traum gewesen. Helle

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