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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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kleiner Ballon. Hoffentlich behält er alles bei sich. Ohne ein Wort und mit Wut im leeren Bauch gehe ich weiter. Am liebsten hätte ich die drei zum Abschied mit ihrem eigenen Panzer plattgewalzt. » Bloody Tommys !« schreie ich so laut in den schweigenden Wald, daß Feldmann erschrocken seinen Schwanz einzieht.
    Am Waldrand markiert ein Schild das Ende des militärischen Sperrgebiets: »HALT! SCHARFSCHIESSEN! LEBENSGEFAHR! — STOP! LIVE FIRING! DANGER OF DEATH«. Unter dem Text grinst mich ein schwarzer Totenkopf an, und ein Schauder fährt mir über den Rücken. Ein Glück, daß die Panzerbesatzung gerade Mittagspause gemacht hat, als ich ahnungslos durch ihre Hölle spazierte.
    Im Süden breitet sich friedliches Land aus. Lerchen trällern stehend in den Lüften. Gar nicht weit liegt ein ziegelgedeckter Hof im Schatten von weit ausladenden Eichen. Der oder keiner! Quer über den Acker mache ich mich auf den Weg. Ein Mann im blauen Drillich steht an einem Türpfosten gelehnt, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Während ich auf ihn zugehe, lassen sich unsere Blicke nicht los. »Guten Tag«, sage ich mit all dem Optimismus in der Stimme, der mir fehlt. Mein Gegenüber nickt nur knapp. Auf dem Fensterbrett schreckt eine Katze aus dem Mittagsschlaf. Schnell greife ich nach Feldmann und mache ihn an seiner Schnur fest. Da nichts weiter passiert, muß ich wieder etwas sagen: »Wir kommen aus Hamburg... zu Fuß .« Der Mann nickt erneut. Unbeeindruckt fragen seine Augen: »Was willst du ?« Feldmann will zur Katze. Gereizt halte ich ihn zurück. Im Stall blökt ein Kalb. Ich gehe noch einen halben Schritt auf den Bauern zu, den Blick auf seine Holzpantinen geheftet. Dann sage ich: »Mein Hund, der hat Hunger — haben Sie zufällig was für uns ?« Das Wort »Hunger« ist endlich heraus, uneigennützig versteckt hinter meinem Begleiter und letztlich doch auf uns beide bezogen. Dem Bauern macht die zweideutige Frage zu schaffen. Es dauert eine Weile, bis er langsam den Mund öffnet. »Die Reste sind schon bei de Schweine, aber Dickmilch könnt ihr haben«, sagt er und verschwindet im Dunkel der Türöffnung.
    Dickmilch, dieses Wort muß ich erst mal verdauen. Es klingt wie Cordon bleu und schmeckt nach Kindheit: Berlin-Wilmersdorf, Mitte der fünfziger Jahre, ein heißer Frühsommertag. Die Schule ist gerade aus, völlig verschwitzt steige ich die vier Treppen hinauf, jede Stufe geht mir bis ans Knie. Oben wartet meine Mutter schon an der Tür. Ich sehe sie durch die Stäbe des Holzgeländers, wie sie mit meinem Erscheinen die Arme weit öffnet, ich rieche das Salz ihrer Achseln, spüre die Weiche ihrer Brüste und eile, nach kurzer, warmer Umarmung, in die Küche, wo es schon auf der Fensterbank steht, das Porzellanschälchen mit der Dickmilch, kühl und köstlich, gerade aus der Speisekammer, eine dünne Zuckerschicht obendrauf.
    Mit einem Emailleeimer in der einen Hand und einem Teller in der anderen erscheint eine ältere Frau mit bunter Schürze um den prallen Leib im Eingang des Hauses. »Ihr wollt was zu essen?« sagt sie mit freundlicher Miene und stellt den Teller vor mich auf die Holzbank neben dem Treppenabsatz, geht aber dann erst zu einem Blechnapf, der am Hauseck auf der Erde steht, und schüttet ihn voll bis zum Überlaufen. Die Katze hat schon mit geducktem Kopf zum Sprung angesetzt, aber die Milch in ihrem Freßnapf ist diesmal für Feldmann bestimmt, der sie gleich und in einem Nu in sich hineinschlingt. Erst nach ihm bekomme auch ich meinen Teil. Sämig und satt rinnt der gelblich-weiße Milchbrei in meinen Teller, und der säuerliche Geruch verstärkt die süßen Kindheitserinnerungen. Obwohl mein Hunger nun fast zur Gier wird, halte ich mich zurück. Erst mal muß ich dieses Gefühl, etwas zu essen zu haben, ganz und gar auskosten. Wie selbstverständlich war Nahrung bisher in meinem Leben, wie alltäglich und normal der volle Eisschrank, die freie Auswahl auf der Speisekarte — und wie besonders, ja kostbar ist jetzt dieser Teller saurer Milch. Euphorie steigt in mir auf. Ich sehe die Zukunft plötzlich in hellen Farben: kein Berg zu hoch, kein See zu tief, denke ich, wir werden unseren Weg schon gehen, nichts und niemand kann uns mehr aufhalten, keine wunden Füße und auch kein Zwingerhusten, dieser Teller Dickmilch wird uns die Kraft dazu geben.
    Löffel für Löffel feiere ich ein Fest, lasse die kühlen Happen erst langsam auf der Zunge meine Körpertemperatur annehmen, zerdrücke

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