Deutschland umsonst
Wolken ziehen eilig über uns hin, hier im Wald aber ist es fast windstill. Leise nenne ich Feldmann beim Namen. Sein langer Schwanz beginnt zu tänzeln. Nach kurzem Recken stellt er sich vorsichtig auf die Tatzen und geht ein paar zaghafte Schritte zum Hochstand, um mit heruntergedrücktem Becken wie eine Hündin zu pinkeln, denn das Beinheben hat er noch nicht gelernt. Ich atme auf, es scheint ihm deutlich besser zu gehen.
Da ich nichts mehr zu essen habe, muß das Frühstück ausfallen. Wir verlassen den Wald auf demselben Weg, den wir gekommen waren, Feldmann hinter mir, mit hängendem Kopf, ich mit einem flauen Gefühl im Magen. Das wichtigste ist jetzt, irgendwie an etwas Eßbares heranzukommen. Ich halte Ausschau nach einem Dorf. Doch nun, wo wir die Hilfe der Menschen brauchen, ist das Land wie ausgestorben: kein Bauernhof, kein Wochenendhaus, nur braune Äcker mit schnurgeraden Reihen erster winziger Keimlinge und dichte Wälder, die mir endlos erscheinen, weil ich aus Rücksicht auf meine rechte Ferse und meinen geschwächten Begleiter nur sehr langsam vorankomme.
Auf einer Schneisenkreuzung mitten im friedlichen Wald steht da plötzlich ein kolossales Monstrum: ein Panzer, dessen Kanonenrohr genau auf den Weg gerichtet ist, den wir entlangkommen. Es krampft sich in mir zusammen. Jetzt bloß keine falsche Bewegung. Wenn ich weglaufe, setze ich mich ins Unrecht. Regungslos läßt mich die Kriegsmaschine auf sich zukommen, sie beherrscht ihre Umgebung allein durch ihre drohende, stumme Präsenz.
Hinter dem eisernen Ungetüm ein Bild des Friedens: Drei ölverschmierte Gestalten in olivgrünen Pullovern sitzen um ein Lagerfeuer herum und brutzeln sich etwas Leckeres. »Guten Morgen«, grüße ich erleichtert in die Runde. Staunend blicken mich die Männer an, als sei ich hier mit meinem Rucksack völlig fehl am Platz und nicht sie mit ihrem Panzer. Es dauert eine Weile, bis einer der Soldaten die Sprache wiederfindet: » What the hell are you doing here ?« fragt er kopfschüttelnd. » Walking «, gebe ich militärisch knapp zurück. Mit breitem Akzent klärt mich der Brite auf, daß ich mich in einer »Military Area « befinde, zehn Kilometer von der Garnisonsstadt Munster entfernt, und daß » Civilians « wie ich hier gar nichts zu suchen haben. Nun ist mir klar, warum ich den ganzen Morgen keinem Menschen begegnet bin. Die vielen Kettenspuren und Patronenhülsen waren mir schon unterwegs aufgefallen, aber ich dachte an Forstfahrzeuge und Jägerei, denn irgendwelche Absperrungen oder Hinweisschilder hatte ich nirgends gesehen.
Ich erkläre den Soldaten meine Lage und hoffe, daß sie mich nicht gleich davonjagen — was dort über dem Feuer brät, riecht einfach zu gut. Feldmann steckt schon mit dem Kopf in einer Mülltüte und wühlt gierig ein paar Knochen hervor. Der Zwingerhusten scheint seinem Appetit nicht geschadet zu haben. Ich wage es nicht, mit gleicher Direktheit meinem Hunger Ausdruck zu geben. Unsicher trete ich von einem Bein aufs andere, vergeblich bemüht, nicht allzu offen in die Pfanne zu starren, und immer wieder höre ich mich sagen: »Well, well, well .« Aber die drei Kerle, alle ungefähr um die Zwanzig, einer noch mit dicken Pubertätspickeln im Nacken, rücken nicht etwa zur Seite, sagen nicht: » Have a seat «, »Be our guest«, » Would you like this steak medium or well done ?« Nein, sie tun so, als sei ich gar nicht mehr da. Feldmann zieht immer neue Überraschungen aus der Tüte, erst Würstchen, dann halbvolle Büchsen Corned beef und schließlich jede Menge Weißbrot. Schlecht scheint es den Boys wirklich nicht zu gehen. Was würde ich mir vergeben, wenn ich jetzt einfach den simplen Satz herausbrächte: » I’m hungry .« Im Wald kann sich doch jeder mal verlaufen, und bis Munster ist es noch weit. Aber der Satz bleibt mir im Hals stecken, ich bekomme ihn nicht über die Lippen. Er hat etwas Peinliches, fast Obszönes, er paßt nicht in die Landschaft, zumal nicht in die bundesdeutsche des Jahres 1980. Was sollen die Tommys von diesem Land denken, in dem der »Standard of living « viel höher ist als zu Hause auf ihrer Insel? Sie würden mich wahrscheinlich schallend auslachen, sie würden meinen, ich scherze. Geh die paar Meilen in die Stadt, würden sie sagen, und friß dich im erstbesten Restaurant so voll, daß du nicht mehr laufen kannst — bye-bye .
Das letzte Weißbrot kriegt Feldmann nicht mehr herunter. Sein Bauch, vorher eine Kuhle, ist jetzt ein praller
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