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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Molkereifahrzeug, nachmittags der Bäckerwagen und ab und zu der Tierarzt, da fegt nun zweimal am Tag der Berufsverkehr über die Dorfstraße, und die Herolds müssen beim Viehtreiben mit roten Fähnchen ihre Herde sichern, damit ja kein Tier unter die Räder kommt. »Der Furtschritt is wie’s Wedder , der kimmt , wiea kimmt , und wenn er do is , is er halt do«, kommentiert der Bauer schulterzuckend die Lage. » Annerscht gesonne « seien sie ja schon, die Zugereisten, »die wolle immer mähr«. Erst war es der Abenteuerspielplatz, der jetzt brachliegt, weil die Kinder lieber im Wald ihr Abenteuer suchen, nun soll der Gemeinderat eine teure Tennisanlage bewilligen, von der kein Alteingesessener weiß, »wozu solle die wohl gut soi «.
    Und die Spaltung des Dorfes geht bis hinein in die Familie, denn die Söhne des Bauern fühlen sich der großen Welt schon mehr zugehörig als ihrer kleinen Gemeinde. Der eine studiert Jura in Mannheim, und der andere ist in leitender Stellung bei der Suzuki-Vertretung in Heppenheim beschäftigt. Auf seine beiden Knaben ist Klaus Herold sichtlich stolz, besonders auf den Juristen, der in der schlagenden Verbindung » Hansea-Mannheim « bereits drei Mensuren gefochten hat. Er selber war ja leider nur im Arbeitsdienst wegen seines zu hohen Blutdrucks, gibt er kleinlaut zu. Alles, was er vom Zweiten Weltkrieg mitbekommen hat, sind kalte Füße und heftiger Kohldampf. Sein Bruder aber, der hatte es besser, der war bei der Luftwaffe, Stuka ist er geflogen als Beobachter und Bordschütze, »en gonzer Kerll , schnadisch un immer uf Zack«, bis ihn die Russen 1942 abgeschossen haben. Nun hängt sein Bild im Wohnzimmer.
    Die »Tagesschau«-Fanfaren bringen den Bauern zum Schweigen. Der Nachrichtensprecher meldet, daß Ronald Reagan auf dem Wahlkonvent der Republikanischen Partei zum Präsidentschaftskandidaten gewählt worden ist. Herold kommentiert: »Die Amis, die sin nur ufs Geld aus, die sin jo alles Judde .« Mir bleibt das Schinkenbrot im Hals stecken. Dieser liebenswerte Bauer soll wirklich ein Antisemit und Möchtegernmilitarist sein, der nichts dazugelernt hat, der die KZs womöglich für Lügenmärchen hält, für den der Hitler der große Autobahnbauer und Vollbeschäftiger ist? Ich wage diese Fragen nicht zu stellen. »Noch a Quetschewasser ?« fragt mich Herold. Seine freundlichen roten Backen glühen. Noch ein Quetschewasser , und er steht stramm vor mir und hebt den rechten Arm, noch ein Quetschewasser , und er singt das Horst-Wessel-Lied, noch ein Quetschewasser ... dankend lehne ich ab.
    Vöckelsbach liegt erst wenige Stunden hinter mir, die Waldluft hat mir und Feldmann gerade erst wieder so richtig zu schmecken begonnen, da kommt aus einem Seitenweg eine unübersehbare Menschenmenge mit hastigem Schritt auf uns zugelaufen, als ginge es um Leben und Tod, als gelte es, einem Flächenbrand oder einer Epidemie zu entkommen. Aber nichts dergleichen, die Sache ist viel schlimmer: Die Leute, 5000 an der Zahl, nennen sich Sportwanderer und sind Mitglieder des »Internationalen Volkssportverbandes« (IVV), der hier einen Rundlauf veranstaltet. Start und Ziel ist ein Dorf am Neckar, den Namen wissen die Volkswanderer selbst nicht so genau, sie halten sich an die dreißig Kilometer lange Sägemehlmarkierung, der sie nachhetzen wie die Windhunde der Karnickelspur. 6,50 DM hat jeder von ihnen als Startgebühr bezahlen müssen, dafür gibt es nach vollbrachter Hatz den wohlverdienten Teller mit Goldrand als Teilnehmerprämie. Alte und Junge sind unterwegs, Familien mit Kindern, Einzelläufer, selbst ganze Betriebsbelegschaften, vom Chef bis zur Sekretärin. Alle sind leicht bekleidet, mit Sportschuhen, Turnhosen, und auf ihren Hemden und Trainingsjacken prangen goldene, silberne und bronzene Abzeichen in solchen Mengen, daß mancher ordenslastige Südseediplomat vor Neid erblassen würde. Einen dieser Hochdekorierten, ein Mann in meinem Alter, mit sehniger Zatopekfigur und andenkengespicktem Tirolerhut, frage ich im Dauerlauf, warum er sich so abhetzt. »Aus Hobby«, sagt er hechelnd, in sechs Jahren will er schon 32 000 Kilometer zu Fuß bewältigt haben, das ist fast der ganze Erdumfang. Tatsächlich zähle ich auf seiner Brust zwei 10 000-Kilometer-Abzeichen in Gold und sechs 2000er in Silber. Sein Ziel ist die 100 000-Kilometer-Spange mit Eichenlaub und Brillanten. »Und was laufen Sie hier rum ?« fragt er mich irritiert. »Ich laufe nur so aus Spaß«, lüge ich, und da muß der

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