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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Reaktorschleuse seinen Rausch auszuschlafen. »Nachts ist nie was los«, beruhigt mich der Physiker, »da telefoniere ich immer stundenlang mit meiner Freundin in Vancouver, auf Kosten des Hauses, versteht sich .«
    Ein milchbärtiger Knabe, den der Sportstudent gerade abgelöst hat, kommt den Zaun entlang und setzt sich zu uns. Wortlos gießt er erst mal ein Bier in sich hinein. Die zweite Flasche in der Hand, erzählt er, daß da gerade ein Eimer im Ringraum gefunden wurde mit zigtausend Millirem Müll, »von dem kein Arsch was wußte«. »Kann vorkommen, so was«, sagt der Physiker gelassen, »morgen früh ist der Eimer weggeschafft, die sind da schon mit ganz anderen Sachen fertiggeworden .« Was mir wie ein Klein-Harrisburg vorkommt, wird hier von niemandem besonders tragisch genommen. Solche Entdeckungen, von denen die Öffentlichkeit nie etwas erfährt, gehören anscheinend zum Reaktoralltag.
    Vor dem Schlafengehen stellen wir uns an den Zaun zum Pinkeln, und sofort hat uns ein gleißender Scheinwerferkegel erfaßt. »Mach die Funzel aus, du Spanner«, grölt der Physiker. »Halts Maul«, antwortet es vom Dach des Kernkraftwerks. Gelächter auf beiden Seiten. Gutes Betriebsklima, denke ich beim Einschlafen mit schwindligem Kopf und nehme mir fest vor, morgen früh neben einer prächtigen Burgruine aufzuwachen, umgeben von Fliederduft und Meisengezwitscher, und dabei erleichtert festzustellen, daß dies alles nur ein Alptraum war.
    In Heilbronn am Neckar ist Rummel. Die brütende Nachmittagshitze hält die Menschen noch fern. Nur ein paar Gastarbeiter schlendern an den bunten Buden entlang. Hinter der Brathähnchenstation futtere ich Feldmann aus der Abfalltonne mit Resten, die so penetrant stinken, daß selbst mir für eine Weile der brennende Hunger vergeht. Im »Glückshafen« sitzen Ernie und Bert aus der »Sesamstraße« gleich zu Dutzenden und warten geduldig auf die Hauptgewinner. Daneben ein Schild: »Losverkäufer gesucht«. Ich zögere nicht lange und frage den Mann im weißen Kittel, ob ich den Job haben kann. »Moment«, sagt er und holt seinen Chef. Ein Koloß von Kerl, dem die breiten Koteletten fast in den Hemdkragen wuchern, mustert mich skeptisch. »Wenn du saubere Klamotten hast, kannste bei mir anfangen .« Ahnungslos erkundige ich mich nach dem Stundenlohn. Da läuft dem Chef der Kopf rot an, sein Hals schwillt, und donnernd platzt es aus ihm heraus: »Stundenlohn? Du spinnst wohl! Stundenlohn, so was gibts bei uns nicht! Sieh mal besser zu, Junge, daß du Land gewinnst !« Irritiert ziehe ich weiter. Achterbahn, Autoscooter , Zuckerwatte, Karussell. Vor der Schießbude » Bonanza « wieder so ein Schild und wieder so eine Bulldogge mit Koteletten. Er will es mit mir probieren. Um den Job nicht gleich wieder los zu sein, frage ich nach der Bezahlung lieber erst mal nicht. Irgend etwas wird schon für mich abfallen.
    Neben einem kleinen Campingbus, dem »Mannschaftswagen«, in dem zwei doppelstöckige Betten gerade Platz haben, wasche ich mich am Wasserkran in der Wiese. Erwartungsvoll betrete ich den »Schießsaloon«. Rolf Köhrer , der smarte Sohn des Chefs, begrüßt mich mit kollegialem Handschlag. Er zeigt mir, wie der Betrieb abläuft und was ich zu tun habe. Mit Luftgewehren wird hier auf Zielscheiben geschossen. Trifft die Kugel ins Schwarze, löst ein elektrischer Impuls die festinstallierte Kamera aus, es blitzt, und der Schütze bekommt als Preis ein Polaroidfoto von sich, mit der Flinte im Anschlag. Ich muß die Gewehre nachladen, die Zielscheiben auswechseln, die Fotos aus der Kamera ziehen und pro Schuß siebzig Pfennig kassieren. »Kapiert ?« »Kapiert !« Der Junior gibt mir eine Schachtel, in der fünfzig Mark Wechselgeld liegen. Seine Mutter sitzt an der Tür und läßt mich nicht aus den mißtrauischen Augen. Mit der Kasse durchzubrennen wäre zwecklos, zumal ihr Mann mir gleich nach meiner Einstellung den Personalausweis abgenommen hat.
    Bis zum frühen Abend läßt die Kundschaft auf sich warten. Fast leer dreht sich vor mir der Riesenlooping » This is America«. »Na fahren wir doch mal mit«, krakeelt es heiser zwischen donnernder Discomusik, »neu aus Amerika, die heiße Attraktion, hier steht alles Kopf, hier geht es rund, ja, das macht Spaß, das gefällt, na fahren wir doch mal mit .« Drei picklige Mofarocker sind meine ersten Kunden. Mit verkniffenen Gesichtern schießen sie je zweimal daneben, zwei mal drei ist sechs, sechs mal siebzig Pfennig macht

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