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Deutschland umsonst

Deutschland umsonst

Titel: Deutschland umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Holzach
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Viermarkzwanzig, rechne ich nach, bekomme einen Zehnmarkschein und gebe Fünfmarkachtzig retour — ein komisches Gefühl, plötzlich mit Geld zu tun zu haben. Frau Köhrers Blick läßt nicht locker. Ein Rentner trifft mit dem ersten Schuß, es blitzt, strahlend betrachtet er sein Bild und gibt mir dreißig Pfennig Trinkgeld. Frau Köhrer registriert das mit grimmiger Miene. Gegen Sechs stellt sie mir einen Teller mit belegten Broten und eine Flasche Sprudel neben meine Wechselkasse. Vor allem der Sprudel ist wichtig, jetzt, wo die bunten Lampenketten über mir den Saloon auf Saunatemperatur bringen.
    Inzwischen drängeln sich die Leute an den Gewehren; es gibt viel zu tun: laden, Scheibe wechseln, Fotos herausziehen, kopfrechnen, kassieren. Für drei Gewehre bin ich zuständig, drei betreut der Sohn, drei der Vater, und ganz hinten steht noch einer, ein dicker Blonder, mit dem ich bisher nur in kurzem Blickkontakt war. Frau Köhrer hat die Oberaufsicht übers Ganze. Ich fühle, wie sie nur darauf wartet, daß ich einen Fehler mache. Als der Andrang immer größer wird und ich einmal vergesse, ein leeres Gewehr nachzuladen, ist es soweit: »Nu stell dich nicht so blöd an, du Vollidiot! Noch mal, und du kannscht gehe .« Ihr Mann nickt zustimmend, sagt aber nichts. Ich schlucke meine Wut mit dem Sprudel hinunter. Den Vollidiot werde ich dir heimzahlen, grollt es in mir, eines Tages wird die Rache süß sein, da werde ich am Schreibtisch sitzen und jede deiner Beleidigungen zu Papier bringen. Dieses Gefühl zukünftiger Vergeltung hatte ich schon manches Mal auf dieser Reise — in Dollbergen etwa, oder zuletzt im »Haus Segenborn«. Es macht mich stark im Zustand augenblicklicher Unterlegenheit. Frau Köhrer spürt meine Unangreifbarkeit, darum hat sie mich wohl auch besonders auf dem Kieker.
    Lange nach Mitternacht gehen die Lichter langsam aus auf dem Rummel in Heilbronn. Solange die Schießbudenfamilie mit der Abrechnung beschäftigt ist, müssen der dicke Blonde und ich draußen vor der Tür warten. Endlich kommt der Junior und drückt jedem von uns ein Fünfmarkstück in die Hand, die Hälfte unseres Tageslohns. Den Rest gibt es erst nach der Entlassung, wenn der Jahrmarkt vorbei ist.
    Aber fünf Mark sind fünf Mark. Kollege Alex eilt mit mir ins Bierzelt, und wir bestellen uns jeder einen halben Liter für 3,50 DM. Kurz vor der Sperrstunde sitzen hier die Losverkäufer, Jahrmarktschreier, Geisterbahnkassierer und Zuckerwattedreher mit den letzten Rummelgästen, überwiegend besoffene GIs in den Armen leichter Mädchen. Der Wirt brüllt »Feierabend !« . Hastig stürzen wir unsere Biere hinunter. Die Amis grölen sämtliche Strophen ihrer Nationalhymne, bis die MP durch den Hintereingang einmarschiert, sechs eisenharte Kerls, drei Weiße, drei Schwarze und eine braune Frau. Der Knüppel ist schon gezogen, der Colt hängt locker, Handschellen klicken, blitzartig wird jeder Widerstand schon im Ansatz erstickt. Die verlassenen Nutten machen sich nun an die Angestellten des Rummels ran, für eine schnelle Nummer in den Neckarwiesen geben sie großzügig Rabatt, aber meine restlichen Einsfünfzig sind wohl doch ein bißchen wenig.
    Um zwei Uhr liegen Alex und ich in unserem Wohnwagen, der direkt neben dem Drei-Achsen-Luxus-Liner der Familie Köhrer steht. Mein Kollege hat das Bett unter mir. Auf seiner breiten Brust stößt ein Adler auf eine Kobra hinab, die sich um einen Türkensäbel schlingt. »Ich war mal Rocker«, erzählt er mir, »und hatte ne 1200er Harley, aber das ist schon ne Weile her .« Vor drei Tagen hat ihn Herr Köhrer aus einer Stuttgarter Pennerherberge geholt, dort, wo viele Schausteller ihre billigen Arbeitskräfte rekrutieren.
    Die Nacht ist kurz. Viel zu früh schlägt Frau Köhrer gegen die Tür und ruft »Frühstück !« . Nach zwei pappigen Marmeladenbrötchen und einer Tasse dünnem Kaffee geht es schon wieder an die Arbeit. Wir müssen unser Quartier mit Seifenlauge schrubben, das Gelände um die Schießbude harken und anschließend den Porsche vom Junior und den Mercedes vom Senior auf Hochglanz polieren. »Hier herrscht Sauberkeit«, keift die Alte, als sie doch noch eine Zigarettenkippe im Gelände findet, »daran mußt du dich wohl erst gewöhne .«
    Mittags gibt es ein Freiessen im Bierzelt, anschließend geht es wieder an die Gewehre. Ein kleiner Türkenjunge, der schon gestern sieben Mark bei mir verschossen hat, ohne daß es blitzte, wartet bereits ungeduldig vor unserer Bude.

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