Deutschlandflug
Projection Standard Parallels 37° and 65° / Variation for 1976 Annual Change – 3° .
Mochten auf dieser Karte auch Städte wie Hannover, Düsseldorf oder Stuttgart kaum ins Gewicht fallen – um so nachdrücklicher standen in Grün die Funkfeuer aufgezeichnet, die zu diesen Städten mit ihren Flughäfen hinführten. Da kamen im Schatten der großen Städte Kleinstädte und Dörfer zur Geltung: Nienburg. Rodenberg. Nattenheim. Kirn. Nierstein. Ludwigsburg. Allersberg. Freising. Kirchdorf. Walda. Warburg. Ihre Namen, nicht die der deutschen Großstädte, waren Tag und Nacht im Mund der Controller und Jumbo-Kommandanten.
Dort, wo auf der Luftstraßenkarte das Sperrgebiet der DDR-Grenzzone, die sogenannte Air Defence Identification Zone ADIZ eingedruckt war, standen auf der Karte Germanias Namen wie: Hamelburg. Fuld. Culmbach. Wo auf der Germania Hanofer in altdeutschen Lettern gedruckt stand, lag auf der Luftstraßenkarte das Funkfeuer Leine, mit der Kennung und Frequenz DLE 115.2.
Um sich abzulenken, studierte Bloch den Text, der auf der Innenseite der Mappe aus dem › Theatrum Orbis Terrarum‹ abgedruckt war:
Deutschland, das größte Land Europas, ist mit vielen Namen unterschiedlich bezeichnet worden. Das alte werden wir das Berosianische nennen, welches Berosus mit dem Rhein, dem Ozean, dem Don, dem Schwarzen Meer und der Donau mit den angrenzenden Ländern umschreibt. Das mittlere wird das sein, welches Tacitus, Ptolemäus und Plinius gekannt haben. Das neuere Deutschland schließlich reicht so weit über den Rhein hinaus, daß es fast ganz Belgien und die Tridentinischen Alpen einbegreift. Es erstreckt sich im Osten über die Weichsel hin bis zu den Litauern, die Nachkommen skythischer Alanen sein sollen. Es erstreckt sich der Länge nach vom Hafen Iccium, den man in der Volkssprache Cales nennt, bis zu den Grenzen Litauens und in der Breite von der Nordsee und der Ostsee bis zu den Alpen. Deutschland hat eine solche Menge von prächtigen und stark befestigten Städten, von Burgen, Dörfern und Einwohnern, daß es weder hinter Frankreich noch hinter Spanien oder Italien zurückzustehen braucht. Es hat Getreide, Weinberge, fischreiche Flüsse, mit denen es leicht zum Wettkampf gegen die fruchtbarsten Gebiete antreten kann. Es gibt Heilquellen, warme Quellen, mehrere Salzbergwerke. Es ist auch eine Menge von Metallen vorhanden, nämlich Gold, Silber, Zinn, Blei, Kupfer und Eisen. Obendrein gibt es nirgendwo größere Höflichkeit, feineres Benehmen, würdigere Kleidung, größere Erfahrung im Kriegswesen, bessere militärische Ausrüstung und hervorragendere Tapferkeit. So sieht jenes Land aus, das einst, wie Cornelius Tacitus bezeugt, durch seine Wälder und mit seinen Sümpfen ganz und gar abschreckend war.
»Über Würzburg«, sagte Mahlberg, »hat Ihr INS eine Ablage von knapp einer halben Meile gehabt. Gut – nicht? Immerhin läuft es jetzt schon seit fast sieben Stunden!«
»Ihr Zweier und das Dreier vom Brinkmann haben über 3-Meilen-Ablage. Ich glaube, wir machen mal ein Updating.« Mahlberg hatte gar nicht gemerkt, daß Bloch die Ablage gecheckt hatte.
Was ihn an der Technik faszinierte, war, daß sie das Reich des Zaubers und der Magie auf eine neue Art verwirklicht hatte. Was früher durch die Sprüche der Weisen und Magier möglich wurde, erschlossen Mathematik, Hochfrequenztechnik, Chemie und Physik dem Zauberunkundigen. Alle Urträume der Menschheit hatte sie verwirklicht: zu fliegen, unter Wasser zu gleiten, Gestorbene zu sehen, zu hören, drahtlos zu sprechen, zu hören und zu sehen.
Freilich waren diese Urträume auf eine grob materielle Art Wirklichkeit geworden; und manchmal beschlich ihn der Verdacht, in den alten Märchen und Legenden könne sich alles auf eine weitaus feinere, vergeistigtere Art zugetragen haben, zu deren Quelle der Zugang nach wie vor und gerade für den heutigen Menschen verschlossen sein könnte; er verdrängte diese Zweifel und kämpfte dafür, wenigstens in dieser diesseitigen Welt seinen Mann zu stehen.
Mochte Goethe durch das Klappern der mechanischen Webstühle mehr erschreckt worden sein als der moderne Mensch durch einen Preßluftbohrer, mochte er im heraufdämmernden Maschinenzeitalter kaum weniger Gefahren befürchtet haben als die Menschheit nach den Atombombenexplosionen – Mahlberg genoß das erhebende Gefühl, Herrscher über einen der kompliziertesten Roboter zu sein, hochwertigstes, kostspieligstes technisches Material anvertraut erhalten
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