Deutschlandflug
erwartete von ihm Initiative. Von wem auch sonst? Vom Verkehrsminister etwa? Der würde höchstens veranlassen, daß der gesamtdeutsche Luftverkehr für Stunden über Belgien und Frankreich umgeleitet würde, weil die Gefahr bestand, irgendwo in Deutschland könne eine Flugzeug mit einer Bombe hochgehen und den übrigen Verkehr gefährden!
Der Polizeipräsident hatte noch zwei Eisen im Feuer, ehe er losschlug: Erstens wollte er die Terroristen veranlassen, über Sprechfunk ungewollt Angaben über das Existieren oder Nichtexistieren einer Flugzeugskizze zu machen. Punkt zwei hieß einfach: Dr. Jason.
Hinter ihm jagte er genauso her wie Thomas Gundolf hinter Niko Grigoris. Wer das Wettrennen gewinnen würde, war ungewiß.
»Reichen Sie mir mal das Walkie-talkie herüber!« befahl Querholz seinem Funkassistenten.
Und dann kam jener Katastrophentag, der Nikos Existenz bedrohte!
Als sie hinausfahren wollten zum Kühkopf, begann ein heftiger Aprilschauer. Hanna war in einem hautengen taubenblauen Wildlederkostüm erschienen.
»Damit setz' ich mich nicht der Meteorologie aus!« protestierte sie mit einem Blick zum grauverhangenen Himmel. »Hör zu, Niko. Du warst noch nie auf meiner Studentenbude. Stimmt's?«
»Stimmt!«
»Komm mit; ich lade dich ein! Das Gras ist mir einfach zu naß!«
So lernte er zum ersten Mal ihr Zimmer kennen – eines von vielen in einem Hochhausbau in Niederrad, mit Notküche, Bad und Abstellraum.
Noch nie war Niko mit einem jungen Mädchen auf dessen Zimmer allein gewesen. Mehr denn je faszinierte ihn das Bewußtsein, wie weit er, Niko, einst ein armseliger, durchschnittlicher Fischer aus einem kleinen Inselhafen, es in Deutschland gebracht hatte.
Nie war er in einer solchen Hochstimmung gewesen wie heute. Eine deutsche Studentin hatte ihn zu einem Schäferstündchen auf ihr Zimmer geladen – ihn, den kleinen Niko!
»Hilf mal tragen!« unterbrach sie seine Träumereien.
Sie genossen die Mahlzeit, tranken Wein, Wodka und Hennessy, und dann legten sie sich zum ersten Mal zusammen in ein richtiges Bett!
Niko genoß alle Vorbereitungen, als sei er zum ersten Mal mit Hanna zusammen. Er duschte ausgiebig und genußvoll. Und als er im Bett lag, lauschte er genußvoll auf die Hantierungen Hannas im Bad. Er kostete jede Sekunde aus, die ihn noch von ihrer Vereinigung trennte. Als sie endlich erschien, trug sie ein hauchdünnes Gebilde aus mattblauer Seide, gegen das er sich plötzlich wieder wie ein rauher, verrunzelter Fischer vorkam. Erst unter ihren Küssen vergingen seine Minderwertigkeitsgefühle wie Schnee vor der Sonne.
Nichts deutete auf die nahende Katastrophe hin.
22
Bloch hatte seine Mappe mit den Anflugkarten über seine Arbeitstasche gebreitet. Diese Mappe war ein kostbares Privatstück. Er hatte sie von einem Vorstandsmitglied der Mercedes AG erhalten, der mit ihm begeistert auf die Kanarischen Inseln geflogen war. Sie war in Wasserbüffelleder gebunden; und auf der Vorderseite war eine alte Deutschlandkarte aufgedruckt aus dem Theatrum Orbis Terrarum 1570: Inmitten eines nach Osten recht fettleibig entwickelten ›Germania‹ hatte sich, von olivgrünen Hügelketten wie eine Koralleninsel isoliert, Bohemia selbständig erhalten. Von Norden her ragte elbaufwärts Dania bis über Lüneburg hinaus nach Deutschland herein. Dort, wo eigentlich Frankreich hätte liegen sollen, prangte das Wappen Germanias mit dem anthrazitschwarzen Doppeladler.
Neben dieser Mappe, halb das Wetterradar in der linken vorderen Ecke verdeckend, lag die Luftstraßenkarte Mitteleuropas. Er hatte sie so gefaltet, daß nur die Routen über Deutschland zu sehen waren: das alte und das neue Deutschland! Die graugedruckten Luftstraßen überzogen die Bundesrepublik wie die Grafik eines Schizophrenen. Das Land darunter war nackt und weiß; nur die größten Flüsse waren in dezentem, nicht störendem Blau eingezeichnet. Osnabrück, Kassel, Wiesbaden, Bayreuth: weiße Flecken. Der Harz, die Eifel, das Fichtelgebirge: nicht existent! Statt dessen war die Karte übersät mit den Frequenzen der Kontrollsektoren und Funkfeuer, mit magnetischen Kursen und Minimum-Sicherheitshöhen, mit Sperrzonen und Bezirksgrenzen. In einem Kästchen, das von Danzig bis Allenstein, von der Kurischen Nehrung bis zur früheren Südgrenze Ostpreußens reichte, war die Bezeichnung dieser Karte eingetragen:
›URFC Central Europe London – Copenhagen – Zürich – Vienna‹ Scale : 1 : 1.500.000 Lambert Conformal Conic
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