Deutschlandflug
Zimmer tretend, ihm verheißungsvoll zulächelnd … Da waren die ersten Minuten der Liebkosung … Ihm war, als lerne er einen völlig neuen Körper kennen, als sei ihr Mädchenleib in der Weiche der Kissen, der weißen Sauberkeit der Laken viel nachgiebiger als unter den sanft schwingenden Zweigen der Haselsträucher, unter dem harten Tuckern der Rheinbarkassen, dem rauhen Aprilwind, der die Weiden und Pappeln der Knoblochsaue seufzen und rütteln ließ .
»Wenn Niko sich dieses Mal nicht meldet, hetze ich ihm die Polizei auf die Bude!« versprach Thomas; er verfolgte jede Ziffer, die Ulla wählte.
»Er meldet sich nicht!« teilte sie sachlich mit. »Die Verbindung ist in Ordnung. Das Signal schlägt an!«
»Dann geben Sie mir den Katastrophenstab, Ulla!«
Aber Querholz, der von Gundolf neue Gesichtspunkte zu seiner Idee wegen der Flugzeugskizze erwartete, zeigte sich widerwillig. Jede Betonung des Falles Niko Grigoris lenkte die Aufmerksamkeit darauf, daß er versäumt hatte, ihn zu verhören.
»Gut, gut«, gab er endlich dem Drängen Gundolfs nach. »Ich lasse das zuständige Polizeirevier verständigen. Sie werden ein paar Beamte hinschicken, um nach dem Rechten zu sehen. Ich hoffe, Sie haben mich nicht unnötig aus wichtigen Vorarbeiten herausgestört .« Querholz ergötzte sich geradezu an dieser impulsiven Wortschöpfung. »Wir arbeiten hier auf Hochtouren! Jede Herausstörung kann verhängnisvolle Folgen haben!«
Er justierte das Walkie-talkie, mit dem er den Kontakt zu den Terroristen herstellen wollte.
»Danke!« sagte Gundolf kurz angebunden und legte auf. Danach stützte er seine Ellbogen auf den Tisch und verbarg sein Gesicht in den Handflächen. Ulla beobachtete ihn besorgt. Sie ließ ihren Telexschreiber im Stich, aus dem sie gerade die Fahnen mit dem 16.30-Uhr-Wetter gezogen hatte, ging auf ihn zu und kämpfte mit der Versuchung, ihm den Arm um den Hals zu legen und auf höchst weibliche Art zu trösten.
»Mein alter Russe würde sagen: Besser zu Hause das Brotrindchen als in der Fremde die Butter! Aber wir werden die ›Steppenadler‹ und ihre Passagiere und Ihre Frau zurückholen aus der Fremde! Es läuft doch alles ausgezeichnet! Die Bundesregierung wird sich niemals weigern, den Häftling auszuliefern oder wegen lumpiger Zweieinhalb so viele Menschenleben zu gefährden! Es ist meine Regierung, ich habe sie selber gewählt!«
»Wunderbar!« kommentierte Thomas trocken.
Wie mochte Margot sich jetzt fühlen? Wie sah es überhaupt an Bord der ›Steppenadler‹ aus? Waren schon Anzeichen von Panik bemerkbar? Er wußte durch sie, daß es an Bord in Ausnahmesituationen zu den undenkbarsten Vorfällen kommen konnte: hysterische Frauen, die wie besessen mit ihren Fäusten auf die Scheiben einhämmerten, einst ehrwürdige Herren, die sich plötzlich splitternackt auszogen, Halbstarke, die sich einfach in die Gänge hockten und ihre Bedürfnisse erledigten .
Während des Films war sie kurz eingenickt – schützte sich ihre Seele dadurch vor Überforderung? Warum sollte sie nicht mindestens die gleichen Rechte haben wie jede technische Installation an Bord? Überlastete man das Bordnetz, so sprang die Sicherung heraus. Lief eine Hydraulikpumpe trocken, so schaltete sie automatisch ab.
Sie wachte aus einem bösen Traum auf: Sie flog nach Hause, aber keiner der Piloten wußte den richtigen Kurs. Man fütterte das INS mit Daten – es waren stets die falschen. Sie irrten durch das Universum. Sie wollte nichts als zurück in die Heimat. Beatrix, flüsterte sie. Michael … Aber niemand wußte die Zahl, mit der man heimkehren konnte. Die Piloten saßen über ihre Zahlentasten gebeugt und gaben Kurse über Kurse ein – sie waren alle falsch. Mit einem gräßlichen Schrei, den wegen der Fluggeräusche niemand hörte, schrak sie auf.
Die Angst hockte in ihr wie ein Kloß.
Wie ein Embryo, dachte sie, die Angst will sich gebären und wächst und wächst und wächst … Abtreiben, das wäre die Rettung. Aber wie? Nach einem alten Abort-Rezept, das sie vor Jahren von tunesischen Frauen in Nordafrika erfahren hatte – mit Petersilie und Jalape? Jalape in Zuckerwasser schlucken, den säuerlichen Petersilienstengel in das schuldige Organ einführen? Aber welches Organ war schuldig an der Empfängnis der Angst?
Sie blickte sich scheu um. Das Filmcompartment faßte nur sechs Reihen à neun Sitze. Alle Insassen schienen ganz den Vorgängen auf der Leinwand hingegeben – Schattenspiele, die Leben
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