Deutschlandflug
Nacken.
Alles war wie immer. Er hielt ängstlich Ausschau nach Anzeichen von Gekränktheit, weil er ihre Bitte nicht erfüllen konnte. Alles war wie immer; aber von nun an ließ Hanna immer öfter die Bitte um einen kurzen Blick auf den Spezialsender einfließen. Sie kam ihm vor wie ein Kind, das mit Beharrlichkeit um ein Spielzeug bettelte.
Aber er gab nicht nach. Er war einer der gewissenhaftesten Angestellten der ›Avitour‹- Werftabteilung.
»Eigentlich«, scherzte er einmal, als sie wieder den Wunsch vorgebracht hatte, »müßte ich eifersüchtig sein auf deinen Bekannten. Du legst dich mächtig für ihn ins Zeug!«
»Wirklich?« fragte sie schelmisch und umschlang ihn. »Ich sehe nur, wie ihm der Einblick in diese Spezialkonstruktion weiterhelfen würde, das ist alles!«
Sie war zärtlich wie immer. Sie wurde, unter seinen Küssen, wild und leidenschaftlich wie immer. Er spürte keinen Unterschied. Nur einmal, als sie an einem außergewöhnlich warmen Apriltag nebeneinander ausruhten, Bussard und Weihen über sich, fragte sie, wie abschließend:
»War das dein letztes Wort, Niko, wegen des Notsenders? Muß ich ihm endgültig mitteilen, daß er in seinen Arbeiten um drei Jahre hinterherhinken wird?«
»Endgültig!« erwiderte Niko fest. »Sei mir nicht böse, Hanna … Bitte!«
»Ich bin dir nicht böse!« sagte sie einfach und legte sich wieder zurück auf die Decke.
Von Minute zu Minute wurde Thomas unruhiger, sah öfter und öfter zu Ulla hinüber, wenn sie sich am Telefon für auswärtige Verbindungen zu schaffen machte, nahm planlos sein Fernglas, um die regungslos vor der Funkhütte harrenden Terroristen zu beobachten und ging, die Fäuste gegeneinanderstoßend, in der Zentrale auf und ab. »Das mit Niko gefällt mir ganz und gar nicht! Er müßte jetzt wach sein und sich fertig machen zur Abfahrt!« Er hatte in der Werft angerufen; dort begann Nikos Dienst in einer Stunde und vierzig Minuten.
Allermann sah seinen Chef besorgt an. Er mutmaßte, daß eine neue Tasse Kaffee fällig war. Die siebente, achte? »Ist was?« fragte Thomas.
»Deine Mahlzeit«, meinte Allermann, »war alles andere als üppig, Tom!«
»Wenn ich unter Streß stehe, ist Kaffee das einzige, das mir aufs Fahrrad hilft. Dieser Plastik-Kantinenfraß – danke!«
»Jederzeit bereit!« meldete sich Ulla.
»Danke. Noch nicht. Worauf ich jetzt Appetit … nein … worauf ich jetzt Heißhunger hätte …« Er verlor sich in Erinnerungen. An Masuren. An seine Begegnung mit Margot. An sein jetziges Heim. Beatrix. Michael. Margot. Manchmal, wenn sie in Stimmung war … Sie war eine emanzipierte Frau: Sie kochte nur, wenn sie in Stimmung war; er fand das großartig … Man mußte nicht Tag für Tag fressen wie ein Scheunendrescher … Dann kochte sie die Gerichte seiner alten Heimat. »Rehrücken, kaschubisch. Kennt ihr das?« Er hob das Fernglas an, überblickte das Vorfeld. »Man braucht dazu: einen Rehrücken, logisch. Aber dann – die Beize! Eine Tasse Essig. Vier, genau vier Wacholderbeeren. Ein Stückchen Sellerie. Thymian, Lorbeerblatt. Würfelbrühe. Wißt ihr, wie lange der Rehrücken darin liegen bleibt? Vier ganze Tage!« Er setzte das Glas ab. »Natürlich muß man das Fleisch öfter wenden. Dann brät man es, unter Zugabe der Beize. Dafür braucht man eine feuerfeste Platte, die mit Butter ausgestrichen wird. Als Nonplusultra kommt die Tunke hinzu, das Wichtigste …« Er hob noch einmal das Glas an, als erwarte er eine sensationelle Beobachtung. »Die Tunke besteht aus Rotwein … Bordeaux. Dort hinein kommen Zimt und Zucker … Halt! Nelkenpulver dürfen wir nicht vergessen!« Er senkte das Glas endgültig. »Diese Würztunke schüttet man über das Fleisch und überbrät noch zehn Minuten bei guter Mittelhitze.«
»Was ist das: Mittelhitze?« fragte Ulla.
»Rund zweihundert Grad … Als Beilage kann man Semmelklöße nehmen und Cumberlandsauce. Wissen Sie, Ulla, wie man eine echte Cumberlandsauce herstellt?«
»Ich kann Ihnen einen tollen Irish Coffee machen …«
»Also: Man erwärmt drei Eßlöffel Johannisbeergelee auf kleiner Flamme. Es muß gut flüssig werden. Man reibt eine Apfelsinen- und eine Zitronenschale mit Zuckerwürfeln ab, preßt den Saft aus und löst die gelblichen Zuckerstückchen ganz darin auf. Dann gießt man den Saft zum Gelee und läßt unter Umrühren aufkochen. Inzwischen hat man einen Eßlöffel Kartoffelmehl in einem Glas Rotwein aufgelöst …«
»Wieder
Weitere Kostenlose Bücher