Deutschlandflug
den Aufenthaltsort der Bombe. Noch immer sehe sich die Bundesregierung oder die ›Avitour‹ außerstande, die Bedingungen der Terroristen zu erfüllen. Diese hätten sich an einer der Landebahnen eingerichtet und zur eventuellen Verteidigung verschanzt. Im Flughafengebäude tage inzwischen nach wie vor der Krisenstab und berate Maßnahmen, die selbstverständlich intern bleiben müßten.
»Und jetzt«, fuhr der Sprecher fort, »das Neueste vom Wetter.«
Wütend schaltete Niko ab. Ihm war, als habe er eine ähnliche Situation vor kurzem schon einmal erlebt. Erstaunt sah er auf: bereits am Hauptbahnhof vorbei, kurz vor der Friedensbrücke am Baseler Platz! Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er sich bis hierher vorgearbeitet hatte! Dabei wollte er am Hauptbahnhof versuchen, rasch in eine Telefonzelle zu springen oder ins Hauptbüro der ›Lufthansa‹ oder ›Avitour‹! Zu spät!
Jetzt trieben die trübgrünen Fluten des Mains unter ihm hindurch. Darüber flammte der westliche Himmel in einer Intensität, wie er sie nur von griechischen Abendhimmeln her kannte. Was hätte ihm eine leere Zelle am Hauptbahnhof genützt! Er war Gefangener einer Schlange, aus der er genausowenig ausbrechen konnte wie ein Strafgefangener aus einer Arbeitskolonne auf dem Heimweg.
An der Gartenstraße der erwartete Stau, noch länger als erwartet. Über die City stiegen die Militärtransporter des alten Rhein-Main-Flughafens hinweg, reckten schwerfällig ihren Bug nach Norden, noch immer jene schwarzen Kerosinfahnen ausstoßend, die bei zivilen Triebwerken längst untersagt waren. Endlich bog er in die Kennedy-Allee ein, die auf die Autobahn nach Rüsselsheim führte. Auch die Kennedy-Allee war eine einzige Kloake von rußenden Lastern, nervösen Satellitenstadt-Bewohnern, die das Abendessen nicht verpassen wollten.
An der Kreuzung mit der Niederräder Landstraße ein Verkehrsunfall – gräßlich. Zwei ineinanderverkeilte Wagen, ein stratoblauer BMW, ein bis zur Mitte zusammengeschobener Audi. Eine blutende Frau, die unter Schockeinwirkung durch die Autoreihen rannte, ein zusammengesunkener Körper am verbogenen Steuer … Er versuchte, so wenig wie möglich zu sehen, quetschte sich gemeingefährlich auf die einzige, noch verbleibende Spur … Das Ganze verzweihundertfacht – mit seiner Mitwirkung?
Kurz vor der Autobahnauffahrt endlich eine Zelle – leer. Er hastete hinein, fast aus dem ausrollenden Wagen heraus! Natürlich kein Kleingeld parat! Er warf eine Mark hinein, wählte, verwählte sich, hängte auf, nahm ab; die Mark war noch nicht zurück. Wie besessen schlug er auf den Apparat ein, suchte nach einer zweiten im Portemonnaie, da fiel sie. Er wählte wieder, dieses Mal richtig … Kein Zeichen; die Leitung war tot. Er sprang zurück ins Auto, hinter ihm hupte ein Mercedes, blinkte; Niko schoß mit durchgetretenem Pedal im ersten Gang davon …
Er hörte die Nachrichten zum drittenmal, als er freie Fahrt auf der Autobahn hatte: genau eine Stunde unterwegs. Nichts Neues, außer Berichten über Proteste gegen ein Flugzeug, das wegen einer Bombe jeden Augenblick auf deutsche Großstädte herabrieseln konnte. Warum schickte man die Maschine nicht über die Nordsee? Oder nach Lappland? Oder über die DDR? Niko wußte noch immer nicht, ob das, was er zu gestehen hatte, im Zusammenhang mit den Nachrichten stand. Aber er wußte, daß er jetzt berichten mußte – ohne Rücksicht auf seine Existenz.
»Himmel verflucht!« seufzte Mahlberg. »Jetzt könnten wir schon auf den Bermudas im Hotel sein! Ich war ja noch nie da. Aber ich stelle mir vor: Wir haben uns gerade in Räuberzivil geschmissen; am Swimming-pool gibt es eine schnuckelige Rieddachbar, da treffen wir uns und genehmigen uns erst mal einen exotischen Drink. ›Bermuda Punch special ‹ oder ›Old Captains Rum Swizzle ‹. So was ähnliches. Und dann genießen wir Sonne, Cocktails und Mädchen; wir haben ja genug von den letzteren an Bord!«
Bermuda ist eine Welt für sich, las er. Die seltsame Geschichte der Insel begann mit einem Schiffswrack. Shakespeare verherrlichte die Entdeckung und Gründung von Bermuda in seinem Werk ›Der Sturm‹.
»Statt dessen kreuzen wir jetzt zum drittenmal über Deutschland!« Mahlberg durchblätterte nervös den reichbebilderten Farbprospekt, den alle Fluggäste erhalten hatte. »Tanker auf der Elbe statt der Nachbildung der ›Deliverance‹, die ständig im schönen Bermuda vor Anker liegen soll!«
Die Geschichte von
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