Deutschlandflug
Wort, Schrift, Dolch, Gewehr, Dynamit.‹ ›Gewiß … Aber damals waren das einzelne in einer großen Masse der Konformen …‹
›Und heute ist es die ominöse kleine Minderheit, die an den Grundfesten der Demokratie und der Freiheit rüttelt – einer Freiheit freilich, die ausgerechnet von jener Masse, die sich plötzlich so intensiv darauf besinnt, noch nie wahrgenommen wurde …‹
›Aber wenn ich deine Bücher und Bilder richtig verstanden habe, bist du doch ein ausgesprochener Kultur- oder, sagen wir besser, Zivilisations-Pessimist. Du siehst eine Entwicklung zum Negativen voraus.‹
›Gerade deswegen, mein Bester, bin ich ein Gegner des Anarchismus.‹
›Das wäre ein Widerspruch, den du erläutern mußt.‹
›Gern. Der Anarchismus – aber das weiß oder erwähnt heutzutage noch kaum einer – beruht auf der Prämisse, daß der Mensch von Grund auf gut sei. Schon hier scheidet sich mein Geist. Der Anarchismus geht davon aus, kein Mensch bedürfe des Zwanges, um auf dem rechten Weg gehalten zu werden. Folgerichtig seien alle Gesetze, ganz gleich, ob sie von Moses oder der herrschenden Regierung stammen, von einem Übel, das bekämpft werden müsse. Der Anarchismus führt das Elend dieser Welt geradezu darauf zurück, daß Polizei, Gericht, Kirche und Regierung sich anmaßen, Zwang vermittels Gesetzen auszu üben. Von diesen Gesetzen könne nur die Revolution befreien.‹
Aber Dollinger überquerte Main, Rhein und Ruwer, sah frisches Knospengrün aus dem Westerwald heraufblicken auf dem Wege zum Fulda-Werra-Zusammenfluß, fröstelte und bestellte einen weiteren Bourbon.
»Hier ist der Sender!« sagte Niko und wickelte den roten Stahlzylinder aus. »Und eure Skizze, krieg' ich jetzt die Bilder?«
Hanna sah ihn mißtrauisch an. Sie trug ausgefranste Jeans und zeigte keine Spur ihres früheren Charmes mehr.
»Und wenn du doch noch die ganze Sache verrätst?«
»Wie könnte ich das?« erregte sich Niko wahrheitsgemäß. »Ich würde hinausfliegen!«
»Gut, Niko! Also: Morgen abend um diese Zeit kannst du deinen blöden Sender wieder abholen! Ehrenwort gegen Ehrenwort! Du schweigst – wir geben dir die Bilder und den Sender.«
»Nicht heute schon – die Bilder?«
Niko sah seine frühere Geliebte flehend an. Hanna wandte sich ihrem Begleiter, dem Fotografen, zu.
»Okay, gib dem alten Bauer, was des Bauers ist!«
»Vertrauen gegen Vertrauen!« beschwor sie und händigte ihm die vier Bilder aus. »Und merke dir: Es ist nichts geschehen, was dich echt in Gewissensnöte bringen könnte! Morgen kriegst du deinen Sender wieder! Wir wollen weiter nichts, als eine gute Doktorarbeit schreiben, das ist alles! Morgen abend reicht doch für dich, oder?«
Sie sah ihn prüfend an.
»Ja«, sagte er bebend. »Ich brauche den Sender erst wieder für die ›Steppenadler‹, die geht übermorgen früh hinaus. Hast du mich nicht doch … ein ganz klein bißchen gern gehabt, Hanna?«
»Gern gehabt? Die ›Steppenadler‹ geht erst übermorgen früh hinaus – für sie brauchst du den Sender? Ja … ich habe dich gern gehabt, irgendwie, Niko … Übermorgen früh, weißt du das genau?«
»Ich bin zuständig …« Niko versuchte, eine Spur seines alten Stolzes aufkeimen zu lassen. »Die ›Steppenadler‹ geht auf die Bermudas. Eröffnungsflug von ›Otto Lilienthal‹. Ihr wollt den Sender nur … kopieren, studieren, nicht wahr?« Er sah sie fast flehend an, als wolle er sein Gewissen beruhigen. »Sonst nichts?«
»Sonst nichts!« bestätigte Hanna. »Deine Frau erfährt kein Wort, solange du schweigst!«
»Ich schweige!« gelobte Niko; am nächsten Tag hatte er seinen Sender wieder. Unbeschädigt.
»Was wollen Sie!« sagte Bloch zwischen Fürth und Nürnberg. »Wir haben noch für mindestens sechs Stunden Treibstoff, also Leben!« Er konnte hart und grausam sein. Er ging davon aus, daß niemand mehr Schonung verdiente als er selber. »Die Cognacpumpe schlägt noch immer unverzagt. Unser Muskelspiel funktioniert. Unsere Zellen stoßen sich munter und unentwegt ab; das Haar wächst … Wußten Sie übrigens, Mahlberg: Es stimmt gar nicht, daß auf den Toten die Haare noch weiter wachsen! Typische Krimifiktion! Es scheint nur so, weil die Haut eintrocknet! Aber selbst die Nägel zeigen zur Zeit noch eine erfreuliche Wachstumsrate. Auch die innere Sekretabsonderung ist intakt. Verdauung, Verbrennung, die ganze Biochemie – alles in bester Ordnung.«
Er gab das nur so zwischendurch mal zu
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