Deutschlandflug
jüngsten Terrorakt?«
»Ich verurteile ihn natürlich.«
»Er kommt aber Ihrem eindeutig proklamierten Ziel entgegen: Verhinderung eines neuen Großflughafens und seines Luftverkehrs.«
»Sie hätten nur eine einzige unserer Versammlungen zu besuchen brauchen – dieser Blödsinn wäre Ihnen im Hals steckengeblieben!«
»Bitte?«
»Um es noch einmal unmißverständlich zu betonen: Wir anerkennen die Notwendigkeit eines neuen Großflughafens in Mitteleuropa. Wir sind nicht gegen den Fortschritt, nicht gegen die Piloten. Im Gegenteil: Wir sehen die Piloten geradezu als unsere Verbündeten an. Sie bedienen ein lärmerzeugendes Gerät, das sie nicht konstruiert haben. Sie bemühen sich wie keine andere Berufsgruppe auf irgendeinem ähnlich gearteten Sektor um Lärmminderung im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Ihre An- und Abflugverfahren sind vorbildlich. Nein, es geht nicht um die Verhinderung des Baus …«
Er wartete, bis er gefragt wurde, worum es denn sonst ginge.
»Wir wehren uns gegen das rücksichtslose Vorgehen auf Kosten der unberührten Natur. Was uns aufrüttelt, ist nicht der Flughafen an sich. Es ist sein Standort! Kapieren Sie das doch endlich mal!« Wie immer steigerte sich Jason nur allzu leicht ins rein Emotionelle. »Wir kämpfen um die Einsicht, daß ein Sumpf in Zukunft wertvoller sein wird als ein sogenanntes kultiviertes Stück Ackerland. Darauf werden Tomaten angebaut, die dann mit staatlicher Subvention vernichtet werden, weil niemand an der Ernte interessiert ist.«
»Sie halten den Kühkopf für genauso wichtig wie die Nachtruhe der Einwohner von, sagen wir, Darmstadt?«
»Wenn ganz Deutschland betoniert ist, werden Sie mir recht geben. Da wird den Darmstädtern ihre Nachtruhe nichts mehr nützen. Sie zeugen nur noch Kinder, die für den Gifttod vorgesehen sind …«
Er rückte seine abgeschabte Kordjacke zurecht und nestelte am offenen Kragen seines dunkelbraun karierten Baumwollhemdes. Er wußte, daß er sich wieder wie ein Elefant im Porzellanladen benahm, daß Understatement nicht seine starke Seite war, daß er sich die letzten Sympathien verscherzte.
»Herr Dr. Jason: Ihr Motto lautet ›schafft mehr Sümpfe‹, statt ›schafft mehr Wohnraum‹. Sie sehen sich als unverstandener Prophet in der Betonwüste, dessen Wort erst gelten wird, wenn wir alle im Kohlendioxyd erstickt sind. Richtig?«
»Richtig!«
Nachdem die Kamera abgeschaltet war, zog Jason den jungen, sommersprossigen Mann am Jackenknopf heran und sagte: »Und wenn ich Ihnen noch privat einen Rat geben darf, junger Freund: Verbieten Sie Ihren Kindern, mit Spielzeugpistolen auf Menschen zu zielen! Dann verhindern Sie mehr zukünftige Terrorakte als all jene Heuchler, die als Nato-, Kriegs- und Krimibegeisterte nur dann gegen Gewalt sind, wenn sie gegen sie selbst gerichtet ist!«
Als er in der milden Dämmerung in der Wohnstube saß, verflog sein Ärger genauso rasch, wie er gekommen war. Das Birkenfeuer im offenen Kamin duftete nach einsamen Mooren, feuchtem Moos, endlosen Steppen. Er schlürfte Tee. Nördlich des Kühkopfes, über Schuster Wörth, glühte der Himmel vor den Erlen- und Weidengardinen in tiefem Purpur, der sich zum Kühkopf hin entfärbte.
Jason war vertraut mit der gesamten Landschaft des Mittelrheins. Er kannte alle Altrheinarme, den bei Lampertheim, bei Ketsch und im Taubergießengebiet. Sie glichen alle dem Kühkopf, den er am meisten liebte. Hier wohnte er, hier hatte er seine Kindheit verbracht.
All diese Schutzgebiete waren nicht nur geographisch Inseln oder Halbinseln. Sie waren die letzten Zufluchtstätten der vergewaltigten und ausgebeuteten Natur.
Man konnte in ihnen durch dschungelähnliches Dickicht streifen, bis zum Hals versinkend in Nessel- und Farnwüsteneien. Man konnte an schlingpflanzenüberwucherte Baumstumpflandschaften geraten, die an Borneo oder Burma erinnerten. Zwischen schimmernden Sumpfinseln ragten Moderstämme und versengte Äste in den laubverdeckten Himmel. Unwillkürlich stellte man sich die gelben Blitze von Tigern vor, griff nach der imaginären Machete, um sich einen Pfad durch unwegsame Lianenschlingen zu schlagen.
In manchen von diesen Urlandschaften konnte man mit Weitlingbooten fahren wie mit Einbäumen in Neuguinea. Man glitt durch Baum- und Parasitenpflanzengewölbe, flankiert von lila blühendem indischen Springkraut. Wenn die Sommersonne über der Rheinebene stand, herrschten hier Tropentemperaturen bis zu vierzig Grad. Die Luft flirrte und sirrte von
Weitere Kostenlose Bücher