Deutschlandflug
deponierten Abschleppseilen, Putzlappen und leeren Plastiktüten, lag der Notsender.
›Avitour‹ hatte ein besonderes System, ausfahrende Flughafenangestellte zu überprüfen. Neben der Sperrschranke war ein Podest mit einem leicht erreichbaren Druckknopf eingebaut. Jeder Fahrer mußte als Selbstbediener den Knopf drücken. In neun von zehn Fällen sprang daraufhin die Schranke hoch. Im zehnten Fall schrillte im Pförtnerhaus ein Alarmsignal; die Schranke blieb blockiert. Jetzt mußte sich der Fahrer einer Stichprobenkontrolle unterziehen. Schließlich gingen allein bei ›Avitour‹ monatlich Geräte im Wert von mehreren tausend Mark durch Diebstahl verloren. Die Zufallstreffer waren elektronisch so raffiniert gemischt, daß sich keiner der Angestellten über Bevorzugung oder gezieltes Mißtrauen beschweren konnte.
Niko hatte sich in die Schlange eingereiht, die sich langsam und auspuffqualmend der Sperre zuschob. Nervös beobachtete er seine Vordermänner. Nummer sechs: Frei! Nummer fünf: Frei! Niko hatte vor, bei mehr als fünf Freinummern vor ihm linksum kehrtzumachen und zurückzufahren, als habe er etwas vergessen. Aber jetzt näherte sich auf der Einfahrtstraße eine Kavalkade von Taxen, Kleinbussen und Pkws, die es ihm unmöglich machten, auf die Gegenfahrbahn einzubiegen. Er saß in der Falle!
Schweine! murmelte er, während ihm der Schweiß vom Gesicht rann. Dabei hatte er bisher dem Werkschutz nie kritische Gedanken entgegengebracht. Zwar wußte er, daß bei den Kontrollen auch nach zollpflichtigen Gütern Ausschau gehalten wurde. Obwohl der dazu keinesfalls berechtigt war. Aber für jede Meldung an die Zollstelle winkte eine Prämie.
Nummer drei: Frei! Lieber Gott, laß Nummer zwei Unfrei kriegen! Er klammerte sich ans Steuer wie an eine Rettungsboje. Es gab kein Entrinnen. Die Gegenfahrbahn war blockiert – ein VW-Bus blies ihm schwarzes Kohlendioxyd entgegen! Nummer zwei: Unfrei! Der Himmel hatte ihn erhört. Der Pförtner, ein mißmutiger, humpelnder Graubart im Rentenalter, kam heraus, beugte sich ins geöffnete Wagenfenster, diskutierte kurz und winkte dann ab. Weiter! Der vor ihm fuhr, natürlich, unbehelligt durch.
Niko drückte, zuversichtlich. Unfrei!
Er würgte den Motor ab. Der gleiche Alte; er war noch auf dem Weg ins Pförtnerhaus.
»Haben Sie irgend etwas anzugeben?«
»Nein!« sagte Niko, nach seiner Meinung sehr fest.
Der Alte warf einen gleichgültigen Blick in den Wagenfond. Hinten lag der Wagenheber. Den hatte Niko aus dem Kofferraum geholt, um Platz für den Sender zu schaffen und ihn nicht zu beschädigen.
»Machen Sie mal den Kofferraum auf!«
Niko wankte aus dem Auto und öffnete die vordere Haube. Er versuchte, sie so tief wie möglich zu halten. »In Ordnung?«
»Höher, bitte!«
Nikos Hand zitterte.
Der Rentner, der hier als Pförtner sein Gnadenbrot verzehrte, ehe er endgültig zum alten Eisen geworfen wurde, versuchte, seinen Kopf unter die Haube zu klemmen, wühlte blindlings in den Putzlappen. Richtete er sich auf – mit leeren Händen?
Er richtete sich auf. Winkte großzügig ab. Schlug die Haube zu.
»In Ordnung!«
Niko warf den Motor an, schaltete falsch, ruckte, stand, schaltete wieder, schoß wie eine Rakete davon. An der Ausfahrt zur Bundesstraße mißachtete er das Stop-Zeichen.
23
Um 16 Uhr 35 überflog Dollinger zum zweiten Mal Jasons Bauernhaus. Hätten sich beide auf eine Diskussion eingelassen, so hätte Jason fragen können:
›Glaubst du, diese moderne Form von Terrorismus sei etwas wirklich Neues?‹
›Ja‹, hätte Dollinger antworten können, ›in dieser extremen Konsequenz, Rücksichtslosigkeit und Brutalität sehe sich einen neuen Faktor, dem bisher noch nicht genügend oder immer nur verspätet Beachtung geschenkt wurde.‹
›Mein Bester!‹ hätte Jason lächelnd geantwortet. ›Sprengstoffattentate, Bombenbasteleien, Studenten, die die Welt aus den Angeln heben wollen, das alles hat es doch längst gegeben; lies doch mal den HESSISCHEN LAND-BOTEN von Georg Büchner oder die Schriften Ludwig Börnes! Die Bombenwerfer des ausgehenden 19. Jahrhunderts haben das Bild des Anarchismus bis heute geprägt! Da gab es Attentate auf den spanischen König Alfons XII. den russischen Alexander II. den französischen Präsidenten Sadi Carnot, den italienischen König Umberto I. den deutschen Kaiser Wilhelm I.‹
Und Dollinger hätte, den Fürsten Kropotkin zitierend, ergänzt:
›Unsere Aktion muß die permanente Revolution sein, mit
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