Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
betrachten!«
    »Gundolf! Was ist mit Ihnen los? Da gibt es ein paar verdammt clevere Jungs unter den Reportern, die wollen diese Sache groß herausbringen in einer Sonderausgabe! Schon in zwei, drei Stunden kann sie auf der Straße sein. › Wird Deutschland atomisiert?‹ Dieser Stil. Der Herr Verkehrsminister verfolgt die Vorgänge mit Besorgnis.«
    »Dann machen Sie ihm klar, daß er den Phantastereien von Klugscheißern und …«
    »Ich weiß: Sesselpupern aufgesessen ist. Weshalb sind Sie so sicher, daß der ›Steppenadler‹ nichts passieren kann?«
    Gundolf schwieg. Ratlos sah er Allermann, sah er Ulla an. Sie nickten ihm, mit verkrampftem Lächeln, ermutigend zu.
    »Weil die ›Steppenadler‹ wohlbehalten landen wird. Spätestens um fünf vor zwölf – nach der letzten Berechnung.«
    »Na, wenn Sie meinen!« sagte Quandt hilflos. »Soll ich das dem Minister ausrichten?«
    »Ich bitte darum! Und noch dazu: Es ist Sache von Kapitän Bloch, seine Flugroute zu wählen. Und Bloch hat sich für einen Deutschlandflug entschieden.«
    »Der Minister könnte den Fluglotsen, die diese beantragte Route genehmigen, Anweisungen geben. Es sind Beamte.«
    »Das soll er mal tun! Aber auf dem Behördenweg! Das dürfte dauern! Bis dahin ist unsere Maschine längst gelandet!«
    »Also gut, Gundolf. Ich respektiere Ihre Entscheidung. Ich versuche mal klarzukommen mit den Leuten, die mir die Bude einrennen!«
    »Bitte!« sagte Thomas und legte auf.
    Dann sank er in sich zusammen. Ihm war, als habe er das Leben seiner Frau verteidigt, sie davor bewahrt, eine Aussätzige zu werden, die niemand mehr dulden wollte.
    »Sie sollten mal eine kleine Pause einlegen!« mahnte Ulla, fast zärtlich.
    »Ja!« bestätigte er. »Ich ziehe mich mal für eine Stunde in mich selber zurück!«
    Er versank in Gedanken und Erinnerungen – sie bildeten einen Schutzwall gegen die unbarmherzige Gegenwart. Der Geruch kaschubischer Krautsuppe stieg ihm in die Nase.
    Er sah sich als Knaben in Masuren über den verharschten Schnee zuckeln, die Schultern leicht gegen den Ostwind geneigt, und über ihm klirrten die nackten Birken im Frost. Das Tau, an dem er seinen Schlitten zog, drückte leicht auf sein rechtes Schlüsselbein. Um ihn waren die verschneiten Felder, hinter ihm die zugefrorenen Teiche und Aubäche, auf denen er gerodelt hatte. Vor ihm flackerten in der milchblauen Abenddämmerung die Lichter des Hauses.
    Die Kälte peitschte sein Gesicht mit feinen Nadeln; die Haut prickelte. In einem Wolkensee aus Altrosa versank die bleiche Wintersonne. Von den nackten Wiesen hoben sich Schwärme blauschwarzer Krähen. Der Schlitten knirschte über den weißen Schnee.
    Er hatte sich den ganzen Nachmittag ausgetobt; jetzt stapfte er müde und voller Verlangen auf die Lichter zu. Die Lichter bedeuteten Schutz, Geborgenheit, bedeuteten Heimat. Der Wind trieb steifgefrorene Blätter in schmutzigem Erdbraun über den Birkenpfad; aus dem kahlen Wipfel einer blitzgespaltenen Erle hob sich krächzend ein Rabe und schwang sich träge in die klare, blasse Luft. Schneeflocken wirbelten von den grauen Ästen zu Boden. Dann klang das bimmelnde Läuten und gelegentliche Pfeifen der Kleinbahn nach Rastenburg durch seine Ohrenschützer.
    Das ferne Lokomotivbimmeln, die froststarrende Winterlandschaft, die klirrenden Birken, sein Gang auf die vertrauten Lichter zu: Das alles verdichtete sich in ihm zu einer gewaltigen Vorfreude. Auf die Stunde, wo er in der gemütlich-heimeligen Küche bei Bertha, der Magd, sitzen würde, den Duft von Zimt und frisch gebutterter Milch um sich, dickes, dunkles Bauernbrot vor sich. Der weiße Kachelofen strahlte eine wunderbare Wärme aus; auf dem riesigen Küchenherd mit den Metallringen duftete in einem Suppentopf der abendliche Glühwein.
    Hier, neben dem Küchenherd, eine gewaltige Schinkenstulle in den Händen, zu dieser Stunde, während draußen die Hunde den Mond anzukläffen begannen, war für den kleinen Thomas das, was er immer mit dem Begriff Heimat verbinden würde. Keine zehn Pferde hätten ihn jetzt mehr hinaus in die masurische Winterlandschaft treiben können, mit ihren umherhuschenden Nachtkäuzen, wildernden Hunden und raunenden Geistern.
    Dreißig Jahre später, wenn er durch den abendlichen Stoßverkehr nach Hause, zu Margot, fuhr, bewegte er sich im Unterbewußtsein noch immer auf die heimatlichen Lichter seiner Kindheit am Rande der masurischen Wälder zu. Jetzt sehnte er sich in seiner Verzweiflung nach einer Insel

Weitere Kostenlose Bücher