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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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Formulierung hatte Jason damals gewählt, der die Antikampagne durch eine Flugblattaktion auf Bundesebene unterstützte: ›Gewisse skrupellose ehrgeizige Herren aus der Landesregierung und dem Land Hamburg schämen sich nicht einmal, in ganzseitigen Anzeigen u.a. in der ZEIT die totale Industrialisierung Schleswig-Holsteins zu versprechen.‹
    Nachdem die Industrialisierung der Stader Umgebung die einst fruchtbaren und attraktiven Elbufer und -marschen in Giftkloaken verwandelt hatte, führte Jason im Verein mit dem ›Bund für Vogelschutz‹ seinen Kampf gegen das Vorhafen- und Industrieprojekt Neuwerk-Scharhörn.
    Als dieses seit Jahren geplante Projekt sich wegen der Ölleitung Wilhelmshaven-Hamburg als Umschlagplatz für Großtanker erübrigt hatte, beabsichtigte das Land Hamburg, sein Vorhaben mit geänderter Zielsetzung zu verwirklichen, da das Areal vor der Elbmündung nun einmal erworben war. Neben Umschlagseinrichtungen für Massengüter sollte in erheblichem Umfang Industrie angesiedelt werden. Im Bereich der Inseln Neuwerk und Scharhörn sollten 60 qkm Watt aufgespült und bebaut werden. Dabei würde die Insel vollständig verschwinden. Durch die sogenannte Erschließung Neuwerks für den Autoverkehr wäre die Ökologie des gesamten Küstenraumes zerstört worden.
    Die Schadstoffimmissionen, insbesondere der Dowchemie, würden sich mit den bereits seit langem aus Elbe, Weser und Jade strömenden Umweltgiften durch die Gezeitenbewegung über das gesamte Wattenmeer verteilen, sich ablagern und alle Mikroorganismen abtöten. Damit wäre den höheren Lebensformen die Nahrungsgrundlage entzogen. Die nordischen Watt- und Wasserpopulationen, die während der Überwinterung auf ein intaktes Wattenmeer als Nahrungsraum angewiesen waren, würden verschwinden – der Nationalpark Wattenmeer wäre eine Farce.
    Jason hatte sich maßgeblich um die Alarmierung der internationalen Vogelschutzorganisationen bemüht. Insbesondere die vier skandinavischen Länder waren mit ihren Brutvögeln von der Wattenmeervergiftung betroffen. Darüber hinaus wurden auch Holland und Großbritannien informiert.
    Holland freilich war gerade dabei, im Dollart durch Schlickwatttrockenlegung einen neuen Schiffahrtsweg zu bauen. Dadurch gingen unersetzliche Nahrungsbiotope für Hunderttausende von Wasservögeln, insbesondere von 25.000 Säbelschnäblern, verloren.
    Im schleswig-holsteinischen Kampf hatte Jason, ehe er in Süddeutschland den Kampf gegen den Standort von Otto Lilienthal aufnahm, wertvolle Erfahrungen gesammelt. Er konnte studieren, daß nicht das Hauptprojekt auf relativ kleinem Raum die eigentliche Gefährdung darstellte, sondern der unkontrollierbare Rattenschwanz von Neben- und Zusatzbauten und Zubehörindustrien.
    Hätte Jason Gelegenheit zu einem derartigen Deutschlandflug gehabt – er hätte in den höchsten Tönen von der Struktur der Landschaft geschwärmt. Mit der gleichen Energie, mit der er umstieß, was ihm umstoßenswert erschien, konnte er sich rückhaltlos begeistern. Freilich erschienen ihm meistens Dinge und Landschaften in ihrem natürlichen Zustand lobenswerter als die Menschen oder das, was die Menschen daraus gemacht hatten.
    Er hätte beim Anblick der Erde aus der Stratosphäre Cézanne angeführt, der als erster Maler die alte, klassische Perspektive verlassen hatte. Er hätte Beziehungen zwischen den Impressionisten und Kubisten hergestellt, die gemeinsam die räumliche, bis dahin für gültig gehaltene Ordnung verworfen hatten und eine neue Weltsicht boten. Die kristallinischen, die rhythmisch geometrischen Strukturen der Kubisten entsprachen dem modernen Flugbild aus großer Höhe aufs genaueste.
    Er hätte von den Futuristen erzählt, von Umberto Boccioni und Luigi Russolo, die in ihren Bildern die Gleichzeitigkeit aller Bewegungen eines Fluges feierten. Er hätte Jackson Pollock erwähnt, dessen Leinwand nicht auf der Staffelei stand, sondern wie die Erde unter ihm auf dem Fußboden ausgebreitet lag. Von diesem Blickpunkt aus spritzte er Farben als abstrakte Gebärde, als Bewegungsstrom auf die Bilder.
    Vieles, was Jason zwischen Niedersachsen und der wattenreichen Nordseeküste erblickt hätte, wäre ihm wie ein Blatt Paul Klees oder Willi Baumeisters erschienen. Da gab es Reihen- oder Moordörfer nahe der DDR-Grenze, die an Ernst Wilhelm Ney erinnerten, an › Yellow into black‹ von Sam Francis: ocker- und umbrabraune Linien, die wie Moorkanäle sich in der Endlosigkeit verliefen,

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