Deutschlandflug
nämlich aus Wesselburen, neunzehn Jahre habe ich dort gelebt, und das liegt dort gerade rechts voraus, an B … nee, an Steuerbord, wie wir sagen. Eben sind wir am Nordstrander Damm vorbei, auch rechts, und ich will Ihnen mal erklären, verkatzebüddeln, wie wir hier sagen, wie so eine Landgewinnung vor sich geht, die Sie überall rechts beobachten können. Ich weiß das noch aus dem Heimatkundeunterricht. Da sind von der Küste und vom Damm aus so doppelte Pfahlreihen ins Watt gebaut: Lahnungen. Von hier oben sieht man nur schwarze Linien, aber die sind in Wirklichkeit mit dichtgepacktem Fichtenreisig aufgefüllt, die Lahnungen. Dazwischen die Lahnungsfelder, vier bis sechs Hektar groß. Hier ist das Wasser ruhig, und der Schlick setzt sich ab. Dabei helfen zahlreiche Lebewesen mit: Herzmuscheln, Wattringelwürmer, Sandklaffmuscheln, Plattmuscheln. Ihre Kotballen verkleben den Schlick, so daß er nicht so leicht weggespült wird. Gut, nicht? An der Oberfläche überziehen Kieselalgen den Schlick mit ihrer Schleimausscheidung.
Nach einigen Jahren fängt man mit dem Begrüppen an. Greifbagger heben Gräben aus; der ausgehobene Schlick kommt in die Mitte der Lahnungsbeete. In den Grüppen steht das Wasser längere Zeit still, so daß sich hier mehr Sinkstoffe absetzen. Auf den Beeten selber siedelt sich Schlickgras an; so geht das. Ihre Wurzeln halten den Boden fest, und bald wird er auch vom Hochwasser nicht mehr überflutet. Dann werden die sogenannten Pionierpflanzen durch höhere ersetzt: Salzpörgel, Meerstrandschwingel, Bottenbinse. Jetzt ist die ehemalige Wattensee schon Vorland geworden. Es wird als Schafweide genutzt und später als Koog … Und jetzt zischen wir an Wesselburen vorbei. Und da bin nicht nur ich geboren. Es ist auch der Ort, wo der Hebbel seine Jugendzeit verbracht hat. Damals hatte das Wurtdorf etwa 1.500 Einwohner, also zu Hebbels Zeit. Und Wurte, das sind etwa sechs Meter hohe Fluchthügel, auf den Halligen sagen sie Warft dazu. Hebbels Geburtshaus lag an der Straße, die von der Klingbergwurt zur Kirchwurt führt. Aber das können Sie von hier oben nicht erkennen; es ist auch gar nicht mehr da. Aber in der Österstraße steht noch das Haus des Kirchspielvogts Mohr, bei dem Hebbels Friedrich Laufjunge war. Und dicht am Hebbelmuseum steht mein eigenes Haus; und da hoffe ich morgen mittag wieder zu sein.
Die meisten Dörfer enden hier auf -fleth, -büttel, -wurt oder -buren. Um 1100 hat man dann von den Wurtdörfern aus die Binnenmarschen erschlossen, da schlossen sich mehrere Sippen zu Genossenschaften zusammen, die sogenannten Dithmarscher Geschlechter. Das ist schon interessant, schon von der Namensgebung her. Ich habe damals mal eine Jahresarbeit darüber geschrieben, über diese Kolonisation der Dithmarscher. Deren Siedlungsnamen endeten hauptsächlich auf -husen, -wisch und -moor; und hinzu kam ihr Geschlechtsname, sagen wir lieber Geschlechtername. Also da gibt es: Wennemannswisch. Nannemannshusen. Huddingmannwisch. Blankenmoor. Poppenwurt. Todingmannwisch.
So war das damals. Und jetzt sind wir auch schon vorbei. Ich danke Ihnen!«
Schwitzend hängte Brinkmann das Mikrofon zurück. Bei der Bombensuche war ihm nicht so heiß gewesen wie jetzt.
»Das haben Sie aber prima gemacht!« sagte Bloch.
… Dann dämmerte vor ihnen Hamburg auf. Aus der Abgeschiedenheit der norddeutschen Küstenlandschaft tauchten ihre Blicke ein in das Verkehrschaos der abendlichen Ausfallstraßen. Überfüllt mit schwarzen, aufleuchtenden Punkten, wanden sie sich wie hektisch pulsierende Adern hinaus aus dem Hexenkessel der City und weit hinein in die Heidehügel der Schwarzen Berge und elbaufwärts durch die Geesthügel hinter Bergedorf. Ein Heer menschlicher Ameisen zog Tag für Tag in einem festgelegten Rhythmus stadtwärts, landwärts. Ganz Deutschland begann zu dieser Stunde, sich in ein solches Heerlager zu verwandeln.
Darüber hinweg glitt die ›Steppenadler‹. Wäre die furchtbare Drohung nicht gewesen, das Bewußtsein der Freiheit und Ungebundenheit hätte die Herzen der Piloten höher schlagen lassen.
An jenem Gebiet zwischen Deutscher und Kieler Bucht, das die ›Steppenadler‹ in knapp dreizehn Minuten mit gedrosselter Fahrt überflog, hatte sich Jason zunächst die Zähne ausgebissen, dann sich aber gewisse Sporen verdient.
Anfang der siebziger Jahre hatten ehrgeizige Hamburger Politiker den Ausverkauf der Unterelbe durch Propagierung riesiger Industrievorhaben begonnen. Diese
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