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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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der Geborgenheit, auf der eine Magd ihn vor den drohenden Geistern der Finsternis schützte und ihm alle Ängste vertrieb.

26
    Langsam senkte sich ein blutroter Abend über Deutschland. An den Ausfallstraßen der Städte staute sich der ortsübliche Verkehr. Blaue Fahnen giftiger Auspuffgase zogen sich weit aus den Städten heraus und über das flache Land hin. Als die ›Steppenadler‹ Hannover überflog, reichte die Dunstwolke vom Maschsee bis zur Lüneburger Heide, wo sie sich mit den Schlieren aus Celle, Uelzen und Lüneburg verband.
    Wären die Piloten auf einem normalen Routineflug gewesen, hätten sie sich verzweifelt und gleichzeitig stolz auf ihren Beruf gefragt, wie Menschen aus Fleisch und Blut es fertigbrachten, sich Tag für Tag dem Streß aus Verkehrsstau und Giftstoffen aufs neue auszusetzen.
    Jetzt erschien ihnen diese verseuchte, verpestete Erde wie ein Paradies. Sie hätten viel darum gegeben, unter den blinkenden, hupenden Autofahrern zu hocken, in einer Schlange bei Wunstorf, im Schwarzwald oder vor Nördlingen – auf dem Wege nach Hause.
    Bis zu der entscheidenden Aktion des Polizeipräsidenten waren es noch eine Stunde und fünfzehn Minuten. Niemand hatte sie darüber aufgeklärt; sie verließen sich blindlings auf die Aktionen am Boden.
    Auch die FDZ wußte nicht einmal vom Dilemma mit Kampinsky; Gundolf rechnete noch immer mit einem planmäßigen Austausch.
    Nur ein geringer Prozentsatz aller Deutschen hatte bisher überhaupt von dem Bombenterror Kenntnis genommen. Zwei Menschen hatten bisher noch kein Wort über die Tagessensation erfahren: Rut Bloch und der Student Wittekop. Nach einer amüsanten Stunde im Rettungsboot der ›Schönes Deutschland‹ waren sie in Niederlahnstein von Bord gegangen.
    »Komm!« forderte Rut ihren Begleiter auf. »Ich klau' dir was!«
    Sie standen vor einem Supermarkt, dessen obere Schaufensterhälfte mit Tafeln voller Sonderangebote verhängt war, so daß die halb verdeckte Halle dahinter wie eine geheimnisvolle, abenteuerliche Höhle wirkte: ›Putenunterkeulen bratfertig. Protein-Schampoo. Pils- und Exportbier 20 Flaschen im Tragekasten‹. Die Preise waren mit Kreide dahintergeschrieben worden, um den Eindruck zu erwecken, sie würden täglich nach dem billigsten Tagesangebot korrigiert.
    »Was habe ich mir da angelacht?« fragte Ronald. »Eine Kleptomanin? Eine Hotelratte?«
    »Eine unausgefüllte grüne Witwe!« erläuterte sie. »Okay: blaue Witwe. Also eine vernachlässigte Frau, die bei jedem Ladendiebstahl einen Orgasmus kriegt! Also, was soll ich dir klauen?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, drängte sie ihn durch die Sperre und zwischen die Regale.
    »Keine Angst, erwischt zu werden?«
    »Nicht mal 'nen Prickel von Gänsehaut! Paß auf, ich zeig' dir, worauf es ankommt! Lektion eins: Trau keiner Person, die harmlos aussieht wie ein Wolf im Schafspelz! Dieses alte Mütterchen dort, das pausenlos am Regal rummümmelt, ohne jemals zur Kasse zu gehen – das könnte eine Ladendetektivin sein!« Sie packte demonstrativ zwei Flaschen deutschen Wodka in den Korb, die Flasche zu DM 9,80. »Was möchtest du denn mal an echtem Wodka trinken? ›Stolichnaya‹? Der ist teuer, mein Bester. Die Flasche über zwanzig Emm!« Sie lud zwei Flaschen ein, wechselte die billigen Etiketts gegen die teuren aus und stellte den deutschen Wodka zurück. Vor dem Regal mit Delikateßgurken fuhr sie fort: »Lektion zwei: Trau keiner Reklamewand, keiner Stelltafel. Es könnte ein Beobachter dahinter versteckt sein mit Weitwinkelspiegeln.« Sie ließ ein Päckchen Tilsiter in ihre Tasche gleiten. »Es gibt Litfaßsäulen mit Werbeanschlägen, die haben Spiegel. Aber in Wirklichkeit kann man von der Innenseite hindurchblicken und die verehrenswerteste Kundschaft beobachten. Und wenn du mal ein Kleidungsstück vom Bügel nehmen und einfach überhängen willst: Vorsicht! Es gibt Bügel, die pfeifen oder klingeln!« Sie begann lässig an einer Tafel Schokolade zu knabbern, die sie aus dem Süßwarenregal genommen hatte. »Auch ein Stück? Bis zur Kasse muß es alle sein! Elektrogeräte sind meistens mit einem Kabel verbunden. Wenn du den Kontakt löst, um einen simplen Wecker im Busen verschwinden zu lassen, heult der unterbrochene Kontakt wie eine vergewaltigte Nonne los!« Sie war schon wieder dabei, ein halbes Kilo Schwarzwälder Rauchschinken mit dem Preisschild einer Tube Zahnpasta auszuzeichnen. »Diese Aufkleber sind in drei Teile zerstückelt, damit man sie nicht als

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