Deutschlandflug
Panzerscheibe oder der Bolzen!«
Mahlbergs Idee war ausgezeichnet. Dadurch traten am blockierten Bolzen Kräfte auf, als wricke man mit einem Brecheisen daran. Mühsam arbeitete sich der Kopilot mit seiner Maske aus dem Sitz und ans Ingenieurpult. Schmerzhaftes Knacken in den Ohren zeigte an, daß er richtig schaltete. Und plötzlich rief Brinkmann:
»Ja, ja … es funktioniert!« Dann: »Vorsicht!«
Mit einem Knall kam die Panzerscheibe wie ein Sektkorken aus der Öffnung geschossen. Gleichzeitig rauschte ohrenbetäubend die Außenluft vorbei. Ein eiskalter Windzug orgelte an ihren Füßen.
»Jetzt rasch den Notsender!« drängte Bloch.
Und dann sagte Mahlberg plötzlich:
»Mein Gott! Wir haben ja einen verheerenden Fehler gemacht!«
34
Bloch brauchte nur Mahlbergs Blicke zu verfolgen, um sofort den Fehler zu erkennen. Sie hatten auf den Zahlen für Treibstoffverbrauch und verbleibender Restmenge geruht! Brinkmanns Auskunft, die er beim Verlassen der Reiseflughöhe gegeben hatte, bezog sich auf den Treibstoffverbrauch in 41.000 Fuß. Dort hätte man noch eine Stunde 25 Minuten fliegen können. Hier, in 18.000 Fuß, war der Kerosinverbrauch genau doppelt so hoch! Günstigenfalls blieben ihnen noch fünfzig Minuten!
»Jetzt ran an den Sender und nichts wie über Bord damit!«
Brinkmann hatte seine linke Hand durch die Öffnung gestreckt, wie ein Kanalarbeiter in einen Gully. Er versuchte, den Sender aus der Halterung zu wuchten.
»Soll ich dich mal ablösen?« bot Mahlberg nervös an.
Obwohl Brinkmann am Ende seiner Kräfte schien, lehnte er ab: Diese Sache sei sein Business!
»Wir fangen inzwischen mit dem Fensteröffnen an!«
Bloch hatte diesen Vorgang so lange wie möglich hinausschieben wollen, bis er sicher war, daß der Notsender die Bombe war. Draußen war eine Temperatur von minus 23 Grad; und der Lärm des Fahrtwindes würde die ohnehin schwierige Verständigung noch verschlechtern.
Er löste die Verriegelung und kurbelte sein Fenster zurück.
Die Aerodynamik der DC-10 war so, daß kaum Fahrtwind ins Cockpit gelangen konnte; der Lärm hingegen war fast unerträglich. Margot schlug sich vor Schreck die Hand an den Mund, wobei sie vergaß, daß sie eine Maske vor dem Gesicht trug. Die Passagiere waren seit fast zwölf Minuten unter Sauerstoff.
Alle starrten jetzt gebannt auf Brinkmann, von dem weiter nichts als ein gekrümmter Rücken und ein Paar unästhetisch lange Beine sichtbar waren.
»Himmelherrgott Brinkmann – was ist?«
»Ich krieg's nicht raus!«
Seine Stimme klang durch die Maske, als läge er selber schon in einem dreckigen Kanalisationsschacht begraben.
»Holen Sie es trotzdem raus!«
Ein idiotischer Kommentar. Aber er schien zu wirken.
Brinkmanns Gesäß straffte sich. Seine Hosenbeine rutschten bis zu den Waden hoch, bevor er sich aufrichtete. In der rechten Hand hielt er den roten Stahlzylinder des Notsenders.
Wie eine Trophäe! dachte Mahlberg.
Wie einen gezogenen Backenzahn! dachte Margot.
»Unten ist nichts mehr!« keuchte Brinkmann. »Entweder ist dies die Bombe oder .«
Bloch betastete den Zylinder wie mit Glacéhandschuhen. Er lag jetzt vor ihnen auf dem Mittelpodest. Mahlberg ließ sein Taschenlampenlicht darübergleiten. Trotz des Zeitdrucks war keiner zu einer entscheidenden Handlung fähig.
»Ja …«, zögerte Bloch. »Hier … das könnte ein Kratzer sein. Ein ausgerutschter Schraubenzieher …«
»Nicht dran rumschrauben!« bat Brinkmann fast flehentlich. »Einfach rauswerfen!«
In diesen letzten, diesen kritischen Sekunden machte sich niemand Gedanken über die Folgen – außer Margot.
»Wenn die Bombe erst am Boden explodiert … Wo sind wir eigentlich?«
»Wir sind über irgend so einem Altrheinsumpf«, sagte Bloch kurz angebunden. »Kühkopf-Beacon. Da wohnt niemand!«
Und dann, als könne er die Spannung keine Sekunde länger mehr ertragen, griff er den Sender und schleuderte ihn hinaus. Er umklammerte das Steuer, schaltete die Automatik aus und riß die ›Steppenadler‹ in eine Steilkurve nach links.
Er wußte nicht, wieviel Sekunden ein Gegenstand brauchte, um von 18.000 auf 13.000 Fuß zu fallen, aber er wollte auf Gegenkurs sein, bevor der Sender soweit war.
Mahlberg schaltete alle Cockpitlichter aus, die sie während der Bergungsaktion Brinkmanns voll aufgedreht hatten, und preßte sein Gesicht an die Scheibe. Draußen war tiefe sternklare Nacht. Voraus leuchteten die Lichter des Maingebietes auf.
»Jetzt …«, zögerte
Weitere Kostenlose Bücher