Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
total materiellen Gesellschaft niemand zu kümmern schien. Diese düsteren Fichtenwälder übten auf Thomas zunächst keinen übermäßigen Wanderreiz aus, bis er durch seine Spaziergänge inmitten der Düsterheit wahre Perlen landschaftlicher Schönheit entdeckte.
    Mömbris hieß die erste Station nach Friedberg; hier wurde er groß, hier begrub er seine Mutter; in Aschaffenburg machte er sein Abitur, nahm Beziehungen zum Luftverkehr auf. Mömbris war eine Kleinstadt an der Kahl, südöstlich des Hahnenkamms. Später, als er eine Stewardeß heiratete, erfuhr er, daß sie, im benachbarten Hörstein, genauso unter dem Kleinstadtmief gelitten hatte wie er. Die Sorgen, Interessen, Hobbys und Aktivitäten der braven Bürger drehten sich um die Gestaltung eines Trimmpfades im Hübnerwald, um die Verpachtung eines Bolz- und Kinderspielplatzes am Untermain, um die Grundwassererschließung in der Gemarkung Weibersbrunn. Eltern forderten eine Wartehalle für die Fünftkläßler aus Pflaumheim, berieten die Mittel für den Pfarrausflug nach Veitshöchheim und kritisierten den Zustand der Statue des Heiligen Franz auf der Anhöhe zwischen Unterbessenbach und Schmerlenbach. An kulturellen Veranstaltungen gab es: das Königs- und Pokalschießen des Wörther Schützenvereins. Die Schulung für Prediger aus dem Kreis Miltenberg in der Stadthalle Heidelberg für die Zeugen Jehovas. Den Festabend des Glanzstoff-Männerchores aus Erlenbach. Die Kapelle ›Les Cornos‹, die zur Nachkirchweih in der Turnhalle von Hofstetten spielte. Das Schwimmen der Versehrtensportgruppe. Die Monatsversammlung des Karnevalvereins ›Losse Babbele‹. Das Treffen der Bäcker-Donnerstagsrunde im ›Weißen Roß‹. Die Stammtischrunde des Eisenbahn-Kaninchenzuchtvereins H 509. Die Klubversammlung des Kegelklubs EK Nilkheim im Lokal ›Zur Bretzel‹. Freilich: Für die Stewardeß Margot Felgenthaler bedeutete die Rückkehr in diese Welt das Zurückziehen auf einen ruhenden Punkt. Wer monatlich um die halbe Erde katapultiert wurde, lernte die Stille am heimatlichen Dorfbach wieder schätzen. Und wenn die Stille zu still wurde, so winkte schon der nächste Einsatz nach Sevilla, Beirut, Casablanca. Für den Flughafenangestellten Thomas Gundolf war seine Bewerbung eine Flucht aus der Enge in den Duft der großen weiten Welt. Er arbeitete sich am alten Rhein-Main-Flughafen von der Pike auf empor; und als er später mit seiner Frau dichter ans Luftkreuz Europas zog, vermißte Margot die Abgeschiedenheit der Spessarttäler mehr als er.
    Seine große berufliche Stunde schlug, als Quandt seine Flugdienstzentrale, die vorher aus einem einzigen Mann bestanden hatte, erweitern und einen Leiter einsetzen wollte Thomas, bisher in der Abteilung ›Gewicht und Vertrimmung‹ tätig, rauschte in diesen neuen Posten hinein wie eine Jungfrau in ihre erste Verführung. Ihm waren die unorthodoxen Managementmethoden des ›Avitour‹- Chefs bekannt; so ließ er sich fast vertrauensvoll in diese offensichtliche Fehlbesetzung hineinverplanen. Damals machte Quandt gerade Schlagzeilen. Sogar ›Der Spiegel‹ widmete ihm einen langen Artikel, wenn auch kein Titelbild. Es ging um die Neuanschaffung von Mittelstreckenmaschinen. Zur Wahl standen die zweistrahlige DC-9, die BAC-111, auch zweistrahlig, und die dreistrahlige britische › Trident‹. In langen Beratungen und Konferenzen wurden nächtelang die Vorteile und Finanzierungsmöglichkeiten dieser drei Typen durchgesprochen. Die dreistrahlige Boeing 727, von der gerade die ›Lufthansa‹ eine Riesenoption in feste Bestellungen umgewandelt hatte, kam von vornherein wegen der größeren Kapazität, den höheren Kosten und den katastrophalen Finanzierungsbedingungen Boeings nicht in Frage.
    Nach monatelangen Berechnungen entschied sich das gesamte Finanzierungsgremium für die DC-9, die für die Belange der ›Avitour‹ am geeignetsten schien. Quandt schob die gesamten Unterlagen mit den neuesten finanztechnischen Erkenntnissen in die äußerste Ecke seines Schreibtisches und zog unter den ungläubig staunenden Blicken der hohen Herren ein zerknittertes Bild aus seiner Brieftasche und entfaltete es.
    Ob die Herren erkennen könnten, was das darstelle.
    Natürlich, zögerte einer der Dresdner-Bank-Koryphäen, das sei eine Boeing Sieben-Zwo-Sieben; die sei ja aus sattsam bekannten Gründen von vornherein aus der Diskussion ausgeschieden.
    »Die möchte ich!« verkündete Quandt dem sprachlosen Gremium mit dem verträumten Blick

Weitere Kostenlose Bücher