Deutschlandflug
ausweiche?«
»Frankfurt hat seit drei Stunden dicken, aufliegenden Nebel!«
»Hier ist nichts bekannt davon. Das letzte Wetter, Moment, lautet: 2 Kilometer Sicht, keine Bewölkung!«
»Das ist dreieinhalb Stunden alt. Sehen Sie doch mal zum Fenster raus!«
»Dreieinhalb Stunden …? Ah, ja, ich habe gerade erst übernommen, das war mein Vorgänger. Aber hier ist alles klar. Ich sehe über das ganze Vorfeld …«
»Ja, Sie sitzen hoch! Senkrecht kann alles klar sein. Aber wenn man horizontal in eine Nebelschicht gerät, sieht man nichts mehr. Die Wetterwarte hat das ja auch schon bestätigt.«
»Moment, ich ruf' die Wetterwarte mal an!«
»Das brauchen Sie nicht! Wir haben hier ja das letzte Wetter, zehn Minuten alt: aufliegender Nebel.«
»Ja, ich ruf' mal an. Ich sag' Ihnen gleich Bescheid!«
»Warum den Zeitverlust? Wir haben nicht mehr allzuviel Sprit. Ich sag' Ihnen doch, wie das Wetter ist …«
… Nur uralte, abgebrühte Flughasen verstärken bei einer derartigen, fast alltäglichen Diskussion nicht ihre Chance für einen Herzinfarkt. Später, nach kostbaren Minuten, die auf die Treibstoffreserven gingen, ertönte dann die fröhliche Stimme des FDZ-Mannes, der wohlbehalten am Boden saß:
»Ja, Sie hatten recht: dicker Nebel! Aber wir möchten Sie bitten, über Frankfurt zu warten. Die Wetterwarte meint, in einer Stunde, wenn die Sonne aufgeht …«
»Hören Sie: Köln, Stuttgart, Düsseldorf sind ausgezeichnet im Augenblick, gehen aber vielleicht auch zu! Noch können Sie in aller Ruhe einen Bus nach Köln schicken, um die Passagiere abzuholen. In spätestens zwei Stunden bricht in Deutschland das Chaos aus! Alles geht zu, sogar Hamburg und München!«
»Also die Wetterwarte sagt …«
»Die Wetterwarte! Hören Sie: Ich fliege seit fünf Jahren im Herbst Frankfurt an. Ich weiß genau, was passiert, wenn im Herbst die Inversionsgrenze bei tausend Meter, die …«
»Also die Wetterwarte … Bitte, warten Sie im Raum Frankfurt auf weitere Instruktionen …«
»Ich sage Ihnen: In einer Stunde geht auch Stuttgart und Köln dicht …«
Und so geschah es dann auch. Und dann schickte die FDZ die Maschinen im letzten Augenblick nach Hannover oder Nürnberg; aber auch dort war der gesamtdeutsche Nebel hereingebrochen; und die Flugzeuge, mit dem letzten Tropfen Sprit, mußten ins kostspielige Kopenhagen oder nach Wien ausweichen, die Passagiere oft tagelang auf Kosten der ›Avitour‹ warten. Niemand zog die Verantwortlichen zur Rechenschaft, konnte es auch nicht, sie gingen exakt nach ihren Paragraphen vor, darin war für die Erfahrung der Piloten mit deutschen Herbstnebeln kein Platz vorgesehen.
Im Slang der Piloten hieß die FDZ nur noch: ›Idiotenasyl. Deppenstall. Dorftrottel-Kaschemme.‹ Ein Kapitän – es war Christian Bloch – faßte konzentriert zusammen: Die FDZ beherberge eine Ansammlung von I-Männchen, die mit ihrer Zwergschulintelligenz den deutschen Luftverkehr in Minimalrekordzeit zu ruinieren versuchten. Trotz seines rüden Tones hatte er auch konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge eingesandt. Eine der typischen Antworten lautete: Wir danken Ihnen für die exakten Angaben über den Flug AVI 717, der nach Ihrer Meinung eine Fehlentscheidung war. Leider können wir heute (›Avitour‹ hatte vier Wochen mit der Antwort gewartet) nicht mehr die tatsächlichen Vorgänge feststellen. Wir danken Ihnen aber trotzdem und hoffen von Herzen, Sie werden auch in Zukunft mitdenken. Nur so kann unser Unternehmen die Größe wahren, die es auch dank Ihrer Aufbaukraft erhalten hat.
Derartige Antworten hielten sogar Bloch vom Mitdenken ab. Gundolf kalkulierte als erster und einziger die Überlegenheit der fliegerischen Erfahrung in seine Überlegungen ein und bevorzugte sie gegenüber drei dicken Bänden von Vorschriften und Empfehlungen. Somit paßte er sich hervorragend dem Managementstil Quandts an. Dieser brachte außer zwei Jahren auf der Harvard-Business-School zwar kaum fachliche Vorbildung mit, besaß aber ein außergewöhnliches Gespür für Stimmungen innerhalb dessen, was er als ›seine Truppe‹ bezeichnete. Drei Monate nach der Errichtung der Gundolfschen FDZ hatte sich die aufgeladene Pilotenatmosphäre weitgehend entspannt.
»Hier ist ein Zitronenkaffee!« rief ihn Ulla Voorst in die Realität zurück. »Zucker. Rum, ein winziger Schuß nur. Eis und Zitronensaft.«
Gundolf rieb sich über die Stirn. Er war weit weg gewesen. Dankbar sah er Ulla an.
Bei
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