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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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ausgedruckt werden konnten. Davor erstreckten sich über die gesamte Länge Pulte mit Rechenanlagen, Fernschreibern, Schreibmaschinen, Telefon- und ›Intercom‹- Ausrüstungen.
    An der gegenüberliegenden Wand standen Regale mit Dienstvorschriften, Bedienungsanweisungen, Flugunterlagen, Personalakten.
    Inmitten der ›Univac‹-, ›IBM‹-, ›Siemens‹- und ›AEG‹- Elektronik hütete Ulla Voorst ihre kostbarste Anlage: die Kaffeemaschine. Sie hatte sie in der Ecke zwischen Fensterfront und Regalwand untergebracht, zusammen mit Tassen, Filtertüten und vier Büchsen mit verschiedenen Bohnenarten. Wenn aus dieser Ecke der heiße, aromatische Dampf aufzusteigen begann, verbreitete sich ungeachtet der Anspannung vor den Pulten eine heimelige Atmosphäre im Raum.
    »Lange Wortgebilde schüchtern mich ein wie große Hunde!« sagte sie. »Nennen wir dieses Ungetüm aus nicht funktionierenden Superlativen doch einfach ›Unseren Oli!‹ Das macht ihn menschlicher. Wie ihr wißt, hat jeder Baukomplex seinen Schutzgeist.« Geschickt formte sie aus herumliegendem Telexpapier, das sie in eine Serviette wickelte, ein Phantasiegebilde nach Art skandinavischer Nonsenspuppen. › Olis Hausgeist!‹ Allermann kramte in seiner Aktentasche, die er neben seinen neuen Arbeitstisch mit weißem Resopalüberzug gestellt hatte.
    »Ich habe auch zur Humanisierung beizutragen! Eine Parodie im Zeitungsstil des vorigen Jahrhunderts, als die erste Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth eingesetzt und darüber berichtet wurde. Übertragen auf einen Mallorca-Charterflug. Gestern aus der Witzblattseite geschnitten.«
    »Erste Eisenbahn?« machte Ulla verzweifelt. »War das nicht 1855? Ich bin auch mit einem Trostpreis im Quiz einverstanden!«
    »Geradezu genial auf den Kopf getroffen!« kommentierte Gundolf. »Wenn auch nicht den Nagel. Minus zwanzig Jahre, dann stimmt's!«
    »Mein alter Russe würde sagen: Wissen bereitet Schmerzen!« Ulla Voorst würzte ihre Kommentare gern mit osteuropäischen Sprichwörtern, die sie einen imaginären Russen zitieren ließ. »Vorlesen, bitte!«
    Allermann entfaltete den Zeitungsausschnitt und begann zu lesen:
    »Zum Abfluge hatte sich auf dem wohleingehegten, zum Schutze gegen blinde Passagiere, Terroristen und Allzubegeisterungswütige ausgiebig mit stacheligem Drahte versehenen Aviatik-Terminale halb Frankfurt versammelt. Das geehrte, ff: Publikum bewunderte insbesondere die feinsinnige Konstruktion der Mallorca-Flugmaschine gebührend. Das ruhige, vertrauenerweckende Benehmen des Maschinenlenkers faszinierte speziell die weibliche Zuschauerschaft, die sich in hellen Entzückensschreien, die hie und da bis an den Rand einer hingebungsvollen Ohnmacht reichten, aeronautisch äußerte.
    Aus allen Handlungen des Flugmaschinisten sprach das Bewußtsein seiner Wichtigkeit. Jede Kanne Kerosin, die er nachfüllte, erfüllte die jubelnde Menge mit jenem ehrfürchtigen Schauer, die den Unterlegenen beim Anblick des Erhabenen wohl ansteht.
    Ein Böllerschuß kündigte den Abgang seiner Maschinerie an. Der kühne Lenker und Aviateur ließ nach und nach die ganze Kraft der fortschrittlichen Technik in Wirksamkeit treten. Aus den Düsenschloten fuhren in gewaltigen Stößen die Auspuffwolken, ein Beben erfüllte die Erde und die zitternden Herzen der Augenzeugen – und unter den Klängen der k.u.k. Regimentskapelle begann sich die ganze ehrfurchtheischende Klapparatur in Bewegung zu setzen. Diese steigerte sich sogleich in einem schwindelerregenden Maße, so daß einige zartere Weibspersonen das gewaltige Ereignis zum Anlaß nahmen, auf die holdseligste Art zu Boden zu sinken. Der eben errichtete zollfreie Kolonialwaren-Laden konnte indessen mit Riechfläschchen und duty-freiem Riechsalz die bedrängte Kundschaft versorgen.
    Bald jagte die riesige Aeroplane mit steil gerecktem Bug in die obere Atmosphäre. Ihre Galionsfigur, eine reizende Büste der verehrten Gattin unseres Ministers für öffentliche Ordnung und Verkehr, wurde durch die rosige Morgensonne wie von einer zukünftigen Morgenröte der Menschheit angestrahlt.
    Freilich: Wer zum Schwindel neigt, sollte den allzu häufigen Anblick dieses Spektakulums tunlichst meiden – zumindest das vorbeiheulende Ungetüm nicht näher ins schockierte Auge fassen. Auch das Schnauben und Fauchen der unter den Flügeln befestigten Kraftwerke verfehlt seine Wirkung nicht. Es wird von Kühen berichtet, die unter dem Eindruck des heranbrausenden neuen Zeitalters die

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