Deutschlandflug
Mitteleuropas geworden.«
»Es gibt ein weiteres Beispiel: die Rieselfelder bei Münster. Hier ziehen in der Zugzeit bis zu 20.000 Kampfläufer durch, von der übrigen Vielfalt gar nicht zu reden. Aber diese Beispiele lassen sich auf den Kühkopf nicht übertragen. Daran vermag auch der Hinweis nichts zu ändern, daß der alte Rhein-Main-Flughafen sich zwischen den Landebahnen geradezu zu einem Schutzgebiet für Greifvögel, Füchse und Steinschmätzer entwickelt hat …«
Man brach auf und zog weiter – über schmale Dämme, die von verwilderten Apfelbäumen, urwaldähnlichen Streifen und niedrigem Erlengebüsch gesäumt waren. Zwischen den mächtigen Stämmen der Eichen und Buchen verfilzten sich die lianenähnlichen Stränge von Waldrebe und Efeu.
»Wenn die Clematis blüht, ist dieser Dschungel ein einziges Blütenmeer!« erläuterte Jason; dann stutzte er.
An einem vermorschten Apfelbaum hing ein pfeilförmiges Holzschild: ›Zur Reiherkolonie‹.
Er kannte es – 1970 schon hatte er es endgültig entfernen lassen, nachdem feststand, daß Graureiher nie wieder auf dem Kühkopf brüten würden. 1952 hatte es in der Kolonie 105 besetzte Horste gegeben. 1965 waren es nur noch 19 gewesen. Schon 1966/67 war dieses schönste und wertvollste Kleinod des Naturschutzgebietes dem grandiosen Fortschritt gewichen. Irgendein Witzbold oder makabrer Mahner hatte das Schild wiederum angebracht; und Jason kannte jemand, dem er es zutraute. Er vermutete, daß er am ehemaligen Brutplatz am Geyerklauer auf weitere Hinweise stoßen würde, und war gespannt darauf. So änderte er seine Route. Dadurch machte er eine Entdeckung, die weitaus wichtiger sein sollte als die Frage nach dem Hinweisschild.
Und wenige Tage später startete die ›Steppenadler‹ zum erstenmal über den Kühkopf hinweg.
»Welches Abflugverfahren haben wir erhalten?« fragte Bloch während des Rollens und überprüfte die Steuerung.
»Kühkopf 3«, erwiderte Mahlberg und las es vor: »Steigen Sie nach dem Start geradeaus auf 1.000 Fuß, und drehen Sie über dem Funkfeuer KUF (Kühkopf) auf 170 Grad. Schneiden Sie die Radiale 240 Grad vom Goddelau-Funkfeuer in einer Höhe von 6.000 Fuß an und drehen Sie dann auf 250 Grad, steigen Sie auf 14.000 Fuß und nehmen Sie Kurs auf das Funkfeuer OSH (Osthofen).«
Die englische Version freilich war weitaus knapper und präziser – Englisch war nun einmal die technische Sprache par excellence.
»Komischer Name, Kühkopf!« sagte Mahlberg.
»Auch nie gehört!« sagte Bloch. »Diese scharfe Linkskurve nach dem Start am Rhein entlang ist auch nicht das Wahre für eine vollbeladene Maschine. Aber dadurch wird wahrscheinlich der Überflug von Nierstein und Oppenheim vermieden.«
Als sie gestartet waren und Bloch durch simplen Fingerdruck auf die Taste N1 automatisch die Triebwerke von Start- auf Steigleistung reduziert hatte, sagte er:
»Sehen Sie, Mahlberg? Nichts als verwilderte Büsche und Wasserarme unter uns! Verstehe nicht, weshalb sie den Hafen nicht gleich bis zum Rhein gebaut haben. Eines Tages verlängern sie die Startbahn ja doch!«
Und jetzt stand Jason mit seiner Gruppe vor der Tafel in der Nähe der früheren Reiherkolonie. Auch hier verließ der Gesang der Nachtigallen sie nicht. Jemand hatte an eine alte Eiche eine Holztafel genagelt und mit Kreide folgenden Text darauf geschrieben:
An dieser Stelle könnten Sie jetzt den einzigartigen Anblick von mehr als hundert nistenden Graureihern genießen. Der Fortschritt, für den Sie sich entschieden haben, hat es verhindert. Was für ein erbärmlicher, menschenunwürdiger Fortschritt – wenn er nur durch die Zerstörung alles dessen existieren kann, was das Leben schön und lebenswert macht!
Jetzt war sich Jason ganz sicher über den Urheber der Zeilen. (Aber als er ihn dann wenige Tage später traf – und als sie beide von der Polizei verhört wurden –, hatten sich die Ereignisse so gejagt, daß er diese Sache vergaß.)
Mit einer Spur von Betretenheit studierten seine Gäste die Inschrift.
Und dann sah er es.
Sie waren langsam in Richtung Knoblochsaue weitergeschlendert. Sie lag jenseits des Rheinarms. Obwohl Naturschutzgebiet wie der Kühkopf, hatten dort die amerikanischen Streitkräfte Übungsgebiete und Munitionslager.
Er hatte seinen Feldstecher angesetzt, um die Schilfwälder nach Reihern, Haubentauchern oder verspätet durchziehenden Wildgänsen abzusuchen. Im kreisrunden Blickfeld tauchten Gestalten auf, die sich an einem der
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