Deutschlandflug
Duftwässerchen und Farbstiften mehr spielte als gezielt arbeitete. Für wen auch? Sie liebte den Druck auf die Spraydose, richtete sie, pssss, auf Achseln, Brustansatz und Schamhaare, sog den herben, erregenden Duft ein … Sie lauschte zum fernen Bett hinüber: Stille. Chris schlief schon; er war aus Dakar zurückgekommen – eine Siebenstundenaktion. Oder aus Teneriffa. Aus Kairo. Der Wirkungsgrad ihrer Wohnung war stets der gleiche: Sie machte ihn schläfrig.
Auch eine weniger intelligente Frau wäre bald dahintergekommen, daß der Grund nicht in der zermürbenden beruflichen Tätigkeit des Fliegens lag. Natürlich bewegten sich beide im üblichen Teufelskreis. Sie hatte vorher zuviel getrunken, geraucht – er fand sie abstoßend. Er zeigte kein Interesse oder roch nach einem Parfüm, das sie nie benutzte – sie trank noch mehr, um seine Ablehnung, seinen Seitensprung zu verkraften. Der lähmende Zustand regte weder den sexuellen Einfallsreichtum des einen noch die erotische Phantasie des andern an.
Das verhutzelte Weiblein kehrte zurück. Ihre Gesichtshaut sah aus wie ein Panzermanövergebiet. Das bräunliche Schoppenglas war randvoll, und als sie es absetzte, schwappte es leicht über.
»Macht nichts!« tröstete Rut leichthin und war schon dabei, den ersten Schluck zu nehmen.
Die Wirtin stierte sie an, als habe sie eine provokative Beleidigung geäußert, zuckte die Schultern und schlurfte davon.
Es gab einen Mann unter den Hauptpersonen dieses historischen Tages, der Ruts Frage nach der Rheinverschmutzung und dem Graureihervorkommen exakt hätte beantworten können: Dr. Matthias Jason, Vorsitzender der ›Vereinigung Umweltschutz e.V.‹ Seine Karriere stand im umgekehrten Verhältnis zu diesem Tag wie die des ›Avitour‹- Direktors Richard Quandt. Er hatte soeben seine größte Niederlage erlitten.
Seit mehr als zehn Jahren hatte er gegen … nein, nicht gegen den Otto-Lilienthal-Flughafen oder gegen den Luftverkehr gekämpft, wie ihm seine zahllosen Gegner immer wieder vorwarfen. Sondern gegen den jetzigen Standort. Der neue Hafen grenzte an jenen Bereich, den Jason seit seiner Kindheit wie einen Augapfel gehütet hatte: den Kühkopf, Hessens größtes Vogelschutzgebiet.
Wenige Tage vorher hatte Dr. Jason seinem Schützling einen Besuch abgestattet – in Begleitung einer rund fünfzig Gäste starken Gruppe. Er hatte außer seinen hervorragendsten Mitkämpfern aus der › Vereinigung Umweltschutz e.V.‹ Vertreter von Presse, Funk und Fernsehen eingeladen. Zu seiner Genugtuung waren namhafte Reporter der FAZ, der Frankfurter Vertretung der WELT, der FRANKFURTER RUNDSCHAU, der ZEIT, des Aschaffenburger MAIN-ECHO und zahlreicher lokaler Zeitungen erschienen. ZDF und HESSISCHER RUNDFUNK hatten kaum weniger fähige Leute entsandt. Nicht erschienen waren die Vertreter jener Industrien, die sich in den folgenden Jahren im Umkreis des Flughafens lukrativ ausbreiten würden wie Maden im Speck: Die ESSO plante (was sie noch anderthalb Jahre lang abstreiten würde) eine Superraffinerie am Rheinufer. Zahlreiche Hotelketten, wie Sheraton, Holiday Inn und Hilton, hatten außer den direkten Bauten am Flughafen bereits Ausweichquartiere an the River Rhine entwerfen lassen. Um auch das linksrheinische Land an den Fortschritt anzuschließen, war statt der Nierstein-Oppenheimer Fähre eine sechsspurige Brücke entworfen worden.
Der Parkplatz an der Stockstadter Brücke, die über den Altrhein hinein in Hessens Naturschutzgebiet führte, war an diesem Tag mit den exklusivsten Automodellen besetzt. Eine Schlange nicht übermäßig fußgewandter Gäste wälzte sich an dem Guntershausener Hof vorbei ins Innere der Insel. Für Dr. Jason gab es nichts mehr zu retten: Fast betrachtete er seine Führung wie einen sadistischen Racheakt – er wollte versuchen, diesen Menschen, die entscheidenden Einfluß auf die Geschicke dieses einzigartigen Gebietes hätten ausüben können, zu zeigen, was sie aufgegeben hatten.
Endgültig verloren! Aber nicht nur Jason hatte verloren. Diese Menschen, die sich als Vertreter der öffentlichen Meinung, als Vertreter Deutschlands, als Vertreter der Zukunft betrachteten, hatten verloren – Deutschland verloren. Sie wußten es nur noch nicht.
Als sich Dr. Jason zum erstenmal während der Wanderung an seine Gäste wandte, teilte er mit:
»Wenige Rheininseln sind über die Landesgrenzen hinweg so bekannt geworden wie der Kühkopf. Zwischen Worms und Mainz, fünfzehn Kilometer von
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