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Deutschlandflug

Titel: Deutschlandflug Kostenlos Bücher Online Lesen
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auf diesen Partys die ewig gleichen blöden Witze über sich ergehen ließen – sie mußten sie schon von der guten alten deutschen Luftwaffe her kennen.
    Am Tag nach der Party wiederholte sich die gleiche Infantilität am Swimming-pool, ganz gleich, ob man sich in Rom, Athen, Bombay, oder Seoul befand. Gelegentlich wurden die Fünf-Sterne-Sehenswürdigkeiten pflichtgemäß ›abgehakt‹ – vorausgesetzt, es war weder zu heiß noch zu kalt, und die Mahlzeit, das Bad, das kühle Bier vorher und hinterher waren gesichert, und es fanden sich genügend Teilnehmer. Margot hatte das Fernweh auf die Langstrecken der ›Avitour‹ getrieben. Als sie zum erstenmal im legendären Siam-Thailand war, befand sie sich wie in einem Rausch. Der wurde rasch gedämpft durch die zähe Trägheit, mit der ihre Crew mehr als einen Tag lang das Wagnis durchdachte, wenigstens einen der geläufigsten Tempel zu besichtigen. Das schwierigste Problem dabei war, ein geeignetes Lokal zu finden, in dem man ›hinterher‹ schick speisen konnte. Sie rannte auf eigene Faust los, sah nicht nur den geplanten Tempel der Morgenröte, sondern noch eine ganze Anzahl von Sehenswürdigkeiten, die in keinem Prospekt standen, und kam atemlos und fasziniert in letzter Minute zum Flug zurück. Sie werde rasch die Nase voll haben, hieß es jetzt, nach drei, vier Flügen hänge ihr Bangkok, hänge ihr der ganze Ferne Osten zum Hals heraus. Am sichersten sei immer noch der Swimming-pool. Wieso am sichersten, wollte sie wissen.
    Sie erfuhr, daß in den Crews eine Reihe von Ängsten existierte, gegen die sich die Furcht vor den sieben Plagen Ägyptens harmlos ausnahm: die Angst, bestohlen, die Angst, überfallen zu werden. Die Angst, durch Berührung mit Einheimischen ansteckende Krankheiten zu bekommen. Die Angst, durch Speise und Trinkwasser ansteckende Krankheiten zu bekommen. Die Angst, durch simples Einatmen der Luft ansteckende Krankheiten zu bekommen. Alles lief darauf hinaus, daß es nur einen einzigen aufenthaltswürdigen Ort außerhalb Deutschlands gab: den Swimming-pool!
    Nachdem Margot jahrelang durch Slums und Eingeborenenmärkte geschweift war, ohne jemals ernsthaft belästigt worden zu sein (allerdings lief sie auch nicht, wie manche Kolleginnen, in religiös empfindlichen Ländern wie den arabischen in aufreizenden Minikleidern umher), nachdem sie ihre Koffer auf den Hotelzimmern stets unverschlossen gelassen hatte, ohne jemals bestohlen worden zu sein, entwickelte sie ihre eigene Philosophie über die Mentalität von Crews.
    Margot hatte ihre entscheidenden Jugenderlebnisse durch die Studentendemonstrationen gewonnen. Sie erschienen ihr als Tor zu einer neuen Freiheit – verwaschen in der Zielsetzung vielleicht, aber entschieden in der Ablehnung überholter Zwänge. Ausgerechnet bei jener Gruppe, die sich ihre Jungmädchenphantasie als die klischeefreieste, aufgeschlossenste vorstellte, bei Piloten und Stewardessen, sollte sie auf die größten Sperrmechanismen stoßen. Hier entsprang der Geselligkeitsdrang lediglich der Unfähigkeit, mit sich selber fertig zu werden. Die Angst vor der eigenen Leere trieb die jungen Menschen aus den Luxushotelzimmern hinunter an den Swimming-pool, wo sie ganze Tage verbringen konnten, ohne sich ein einziges Mal mit der aktuellen Situation identifizieren zu müssen. Versuchte man, aus diesem Kreis auszubrechen, galt man als Einzelgänger, verstieß gegen die heilige Gemeinschaft. Als ob diese Art von Herdentrieb aus Notwehr zu einer echten Gemeinschaft hätte führen können!
    Margot erlebte immer wieder, daß kleine unreife Mädchen, die gerade ihre ersten Flüge in die große weite Welt absolvierten, mit alten, grauhaarigen ehrwürdigen Männern umsprangen, als hätten sie – hochdekorierte Herrinnen – Sklaven oder Kulis unter sich. Sie ließen sich ihre schweren Koffer nachschleppen wie Maharanis und hatten noch niemals von Udaipur oder Varanasi gehört, geschweige denn, es gesehen.
    Der Swimming-pool war für sie das, was im Mittelalter die Dorfeiche gewesen war: Hier traf man sich zum Feierabendplausch, trank zufrieden sein Bierchen, brachte die neuesten Skandälchen vor und fühlte sich unter seinesgleichen. Da alle hier am gleichen Strang zogen, die gleiche Sprache redeten, kamen keine Zweifel an der Lebensart auf: Jeder fühlte sich durch jeden bestätigt.
    Es dauerte kaum ein Jahr, da fühlte sich Margot, mit ihrer Begeisterung für die Menschen und Kunstschätze der sogenannten unterentwickelten

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